Schnelleinstieg: Zum Inhalt springenZur Hauptnavigation springenZur Sprachnavigation springen

Die tausend Leben eines Treckers. Hymne auf eine landwirtschaftliche Zugmaschine und ihren kleinen Fürsprecher

„TRECKER KOMMT MIT“ - dieses Bilderbuch ist eine ultimative Proklamation, das Manifest eines eingeschworenen Teams, das sich ohne zu zögern hinter, nein: vor den kleinen namenlosen Helden der Geschichte stellt. Kurz und treffend: die Sätze der Autoren Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel. Eindeutig und provokant: die Bilder von Halina Kirschner, plakativ, mit satten, leuchtenden Farben in Siebdruckoptik, unverrückbar auf die Seiten gesetzt. Vater spricht. Sohn entgegnet. Vater relativiert. Sohn beharrt. Die Sache ist glaskar: Die Familie (Vater, Mutter, Söhnchen, so zwischen drei und vier) zieht um. Vom Land in die Stadt. Am Wochenende kommt der Umzugswagen. „Lasst uns packen.“
 
Der Sohn: „Packen-kacken, sage ich, ich hab längst gepackt. Genau eine Sache: Trecker. Weil ohne Trecker macht das alles keinen Sinn. TRECKER KOMMT MIT! Oder ich bleibe.“ - Das sitzt.  Alles scheint bereits in Sack und Pack. Nur der Knirps sitzt da. Arme fest vor dem Bauch verschränkt. Karton überm Kopf. Umgeben von aufgeklappten Schachteln, herumliegenden Spielsachen und herumfliegenden Gedanken. Aber eins ist klar: Nicht ohne den Trecker.
 
Wer selbst einmal Kleinkind war (und das sollen ja die meisten gewesen sein) oder je die Leidenschaften der eigenen Kinder oder Enkelkinder im Vorschulalter erlebt hat, der weiß um die Faszination, die dieses Gefährt gerade bei Jungmännern auslöst. Zu den ersten Worten nach „Mama“, „Papa“, „A-a“, „Auto“ und „brumm-brumm“ dürfte „Trecker“ gehören. Wenn dann die Erdhügel und Sandhaufen in der Nachbarschaft tatsächlich erobert, beackert, bebaggert und umgeschichtet werden, braucht es – bevor der Kipplaster in Aktion tritt – den Traktor, mit einer großen Baggerschaufel vorne dran. Gehört zur Grundausstattung erfolgreicher Lebensführung. Im Lauf der Kinderjahre kommen ungezählte Treckeraufgaben hinzu. Und wenn dann noch eine echte Zugmaschine nebenan in der Scheune steht – das Himmelreich!
 
Das ist die privilegierte Ausgangssituation des kleinen störrischen Helden im Buch: ein ECHTER Trecker in der Scheune. Und tausend gelebte Möglichkeiten. Schnellfahren. Einfach Rumstehen. Angucken. In den Wald tuckern. Grube für See ausheben. Tunnel durch Berg graben. „Aber in der Stadt?“, gibt Papa zu bedenken. Söhnchen: „Und da sage ich: Was ist das bitte für ein Ort, an dem kein Platz für Trecker ist? Was soll das sein? … TRECKER KOMMT MIT!“
 
Der Treckerpilot, von dem man auf den Bildern höchstens die Haarschopf und die Nasenspitze sieht, wenn er im Cockpit sitzt, wird auf der Stelle zum passionierten Gebrauchslyriker: „Dübel über Felder, krach durchs Gebälk, rotz Ruß und rumpel röhrend durch die dicksten Wälder.“ Dann beginnt er mit einer ebenso lyrischen Hymne auf den Trecker in der Stadt, dass es eine wahre Freude ist, seine, ihm von Heinrich & Zipfel sorgsam in den Mund gelegten Worte selbst zu wiederholen.
 
Die Sache ist glasklar. Die Botschaft auch: Nichts geht über die Hartnäckigkeit eines kleinen Treckerfahrers. Und das seit Generationen. Nichts geht über ein buntes, vielfältiges Leben am Land. Mit Kuh und Gans und - Trecker. Und wenn schon Stadt, dann nur mit (siehe oben). Aber weder Sache noch Botschaft sind das bedeutendste Merkmal dieses Bilderbuches. Nein. Herausragend ist die einzigartige Allianz aus wilder Wortpoesie, schwungvollem Satzrhythmus und einer auf den Punkt gebrachten, entschiedenen Bildsprache. Frech und fröhlich und widerspenstig und aus dem Leben gegriffen, selbst wenn der Ausgang der kommunikativen Interaktion offen bleibt.
 
Buchcover Trecker kommt mit

Von Siggi Seuß

​Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.