Isolde Charim Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert
- Paul Zsolnay Verlag
- Wien 2018
- ISBN 978-3-552-05888-0
- 224 Seiten
- Verlagskontakt
Willkommen in der Begegnungszone
Dass Pluralität heute unübersehbar als gelebtes Nebeneinander verschiedener Kulturen und Religionen präsent sei, gilt Charim dennoch gerade nicht als Beleg dafür, dass auch eine homogene Kultur denk- oder sogar wünschenswert sein könne: diese sei nämlich seit jeher nichts weiter gewesen als eine Konstruktion. Die Autorin kritisiert das Identitäre mit Sigmund Freud. Dessen Formel vom Ich, das nicht Herr im eigenen Haus ist, demaskiere die Vorstellung, dass ein Ich – und weitergehend eine Gemeinschaft – mit sich selbst identisch sein könne, als Illusion. Trotzdem sei der Nationalismus lange Zeit der durchaus erfolgreiche Versuch gewesen, diese Illusion im großen Maßstab aufrechtzuerhalten. Aber heute? Wo der Nationalismus im allgegenwärtigen rechten Populismus oder in der Brexit-Bewegung wiederauferstehe, könne die Berufung auf die Nation nie eine einende, sondern stets nur spaltende Wirkung erzeugen.
Man könnte einwenden, die Feier des Pluralen, die die individuelle Selbstbestimmung des Individuums entlang eines von gegenseitiger Toleranz geschützten Identifikationsspektrums im Sinn hat, setze noch immer bestimmte Milieus und den von jeher durch eine besondere Offenheit geprägten städtischen Raum voraus. Charim hält dem die Wendung vom „global village“ entgegen sowie ihre optimistisch gestimmte Analyse, dass „selbst der ländliche Raum heute urbanisiert ist – in dem Sinne, dass es auch im Dorf, dem Prototypen homogener Lebensweise, Pluralisierung gibt. In jedem deutschen oder österreichischen Kaff findet man heute eine Dönerbude.“
Folgt man der Autorin, dann ist die nun ubiquitäre pluralisierte Gesellschaft eine „Begegnungszone“, die gerade davon profitiert, dass sie kein Versprechen auf Gemeinsamkeit mehr birgt. Jedem, der mit diesem Versprechen, mit Re-Homogenisierung und Harmonie, auf der politischen Bühne wirbt – und hier meint die Autorin insbesondere die überall erstarkten Rechten – müsse daher nicht bloß mit Misstrauen, sondern mit Abwehr entgegengetreten werden.
Von Ronald Düker
Ronald Düker ist Kulturwissenschaftler und Journalist und schreibt für DIE ZEIT sowie verschiedene Magazine. Er lebt in Berlin.
Inhaltsangabe des Verlags
Vielfalt verändert alle, ob wir wollen oder nicht. Die Philosophin Isolde Charim beschreibt, was es für den Einzelnen heißt, in einer pluralisierten Gesellschaft zu leben.
Wir leben in einer pluralisierten Gesellschaft. Jede Kultur steht neben anderen, es gibt keine selbstverständliche Zugehörigkeit mehr. Doch was ist das überhaupt – eine pluralisierte Gesellschaft? Und was heißt es für den Einzelnen, in einer solchen zu leben? Die Außenperspektive – dass es nämlich immer anders sein könnte, dass man etwas anderes glauben, anders leben könnte – ist heute Teil jeder Kultur. Und diese Veränderung betrifft jeden. Sie verändert den Bezug zur Gemeinschaft, zur eigenen Identität. Die Philosophin Isolde Charim wendet ihre These auf verschiedene Themen an, von der Politik zur Integration über die Definition des Heimatbegriffs bis hin zu den Debatten um religiöse Zeichen.
(Text: Paul Zsolnay Verlag)