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Sehnsucht, Lebenslust, Trauer und Humor

„Meine beste Bitch“ – nicht nur der Titel von Nataly Elisabeth Savinas neuem Roman integriert wie nebenbei englische Begriffe. Auch viele Kaptitel haben englische Titel und immer wieder zitiert die Autorin internationale Songs. So entsteht von Anfang an der Eindruck eines Jugendbuchs, das überall in der westlichen Welt entstanden sein könnte. Verstärkt wird er durch die Tatsache, dass die Handlung zum großen Teil in Berlin spielt, der In-Metropole Europas.
 
„Ich brauche kein Happy End, aber ich möchte eine Hauptfigur lesen, der ich gerne folge und die ich nachvollziehen kann“ sagte Nataly Elisabeth Savina in einem Interview zu ihrem ersten Roman „Love Alice“. Die junge Autorin mit den lettischen Wurzeln zeichnete dort – wie auch in ihrem zweiten Roman „Herbstattacke“ – ein Stück Jugend nach, das zwischen Befreiung und Albtraum balanciert und die großen Lebensthemen wie Glück und Identität so intensiv umkreist, wie es – meist – nur Jugendliche tun.
 
Auch in „Meine beste Bitch“ – eine Bitch ist eine Göre oder Schlampe – geht es ums Ganze. „Die Normalität ist kein Zustand, sondern eine Behauptung“ sagt Fainas Mutter, die als Psychiaterin in einer Klinik arbeitet. Und „normal“ ist in diesem Roman fast niemand. Die siebzehnjährige Erzählerin Faina nicht, die unter Panikattacken, Juckreiz und Albträumen leidet. Ihre Mutter nicht, die sich eifersüchtig und übergriffig permanent in Fainas Leben einmischt. Auch Fainas allerliebste Freundin Nike nicht, die sich rastlos bei jedem sozialen oder politischen Projekt engagiert und Faina irgendwann den schönen, undurchsichtigen Julian ausspannt.
 
Auch Berlin, die  Großstadt der Träume, ist nicht „normal“, sondern „flatterhaft, kirschsaft-flirty und funky-glitzernd“, dann wieder trostlos, schmutzig und einsam. Hier, wo alles möglich ist, verbringt Faina mit Julian einen verrückten Sommer, in dem die beiden mit allen Poren ihre neue Freiheit mit Sex, Alkohol und schrägen Kunst-Perfomances zelebrieren. Sie wollen Kunst studieren und beschäftigen sich praktisch und theoretisch mit der Frage, wie innovativ, selbständig oder originell Kunst heute noch sein kann. Fragen, die zwar nicht in diesem Roman beantwortet werden, aber mit diesem Roman.
 
Denn wenn „Meine beste Bitch“ etwas ist, dann kreativ! Und das in mehrfacher Hinsicht. Ungewöhnlich sind nicht nur das exzentrische Personal und die atmosphärisch dicht gezeichnete Großstadt Berlin. Auch Fainas Erzählweise ist eigenwillig und reizvoll. Mit intuitiver Sicherheit beherrscht sie die unterschiedlichsten Töne. In klaren, kurzen Sätzen analysiert sie ihre seelischen und körperlichen Defekte, kühl und konzentriert beschreibt sie ihre Lebenssituation und ihre Erlebnisse. Um dann – wie erleuchtet – in poetisch-intensiven Bildern und sinnlich-dichten Formulierungen ihre Gefühle und Stimmungen zu schildern oder mit witzig-ironischen Vergleichen komplizierte Seelenzustände auf den Punkt zu bringen. Ihre Fähigkeit, sich auszudrücken, ist so reich und vielschichtig wie ihre Psyche, und es ist nicht nur packend, sondern auch anrührend zu beobachten, wie sich hier Distanz und Nähe, Freiheit und Zerrissenheit unmittelbar selbst ausdrücken im Medium der Sprache.
 
Zur Berliner Szene passt, dass Nataly Elisabeth Savina literarische und musikalische Zitate einstreut. Ob Leonhard Cohen, David Bowie, Atomic Swing oder Albert Camus – sie sind Fainas Orientierungspunkte und Begleiter in dem ebenso schmerzhaften wie euphorischen Prozess des Übergangs und Erwachsenwerdens. „Meine beste Bitch“ erzählt von einer ganz besonderen Lebensphase, die überall in der westlichen Welt wenn nicht gleich, so doch unter ähnlichen Vorzeichen abläuft. Vom Rausch der Freiheit und der Trance der ersten Liebe. Vom Weggehen und Loslassen, von Verrat und Verlust und Neubeginn. Ohne Happy End, ohne Sentimentalität, atemlos, verwirrend schön. So, wie die Autorin auch den Sean-Lennon-Song „Wait for me“ charakterisiert: in einer „Mischung aus Sehnsucht, Lebenslust, Trauer und Humor“.
Buchcover Meine beste Bitch

Von Sylvia Schwab

​Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.