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Buchcover Knock Out! Die Geschichte von Emile Griffith

Reinhard Kleist Knock Out! Die Geschichte von Emile Griffith

Der sanfte Fighter

Schon die ersten Seiten ziehen den Leser in ihren Bann: schmale, vertikale Bilder deuten die Hinterseite eines alten, typischen New Yorker Wohnblocks an. Ein filmischer Schwenk wird zeichnerisch simuliert, zu einer Tür im Erdgeschoss – eine männliche Gestalt kommt heraus und wankt betrunken durch die Gasse. Auf den kommenden Seiten fällt sie jugendlichen Schlägern zum Opfer, die ihr feige aufgelauert haben: Ein Schwarzer, der aus einer Schwulenbar kommt? Das passt ihnen beides nicht. Dass dieser ältere Mann einmal ein weltberühmter - und ebenso berüchtigter - Boxer war, hilft ihm in dieser Situation nicht weiter. Er wird zusammengeschlagen.
 
Die Exposition ist typisch für den Stil des Berliner Comiczeichners Reinhard Kleist. Ästhetisch fühlt man sich an klassische, schwarzweiße Film noirs des US-Kinos erinnert. Pointiert skizziert Kleist in der Rahmenhandlung den zentralen Charakter, einen gebrochenen Helden, bevor dann der zentrale Flashback einsetzt, der die wichtigsten Lebenslinien des schwarzen Boxers Emile Griffith (1938-2013) nachzeichnet. Früh wird der in einem Hutgeschäft arbeitende Junge wegen seiner kräftigen Statur dem Boxtrainer Mr. Clancy vorgestellt, der ihm schon bald seinen ersten Kampf besorgt.

Griffiths traumatisches Erlebnis datiert auf 1962: im Boxring verletzte er Benny Paret, den amtierenden Weltmeister im Weltergewicht, so stark, dass dieser ins Koma fiel und Tage darauf im Krankenhaus verstarb. Es war der erste tödlich ausgehende Boxkampf, der live im Fernsehen übertragen wurde.
Obwohl es ein Unfall war, hatte Emile Griffith zeit seines Lebens an dieser Schuld zu tragen – Kleist personifiziert diese Schuld in einem wiederkehrenden nächtlichen „Dämon“, der Griffith in schweren Stunden aufsucht.
 
Auf den karibischen Jungferninseln aufgewachsen, machte Griffith früh Karriere als Boxer, doch eigentlich war er eher ein sanftmütiger Charakter, der es liebte, Damenhüte zu entwerfen. Die Comicadaption dieses beeindruckenden Lebens zeigt auf berührende Weise, wie zerrissen ein homosexueller Mann im Boxgeschäft in den 1960er Jahren gewesen sein muss. Trotz vieler Probleme, trotz Zugeständnissen, Stigmatisierungen und Tiefschlägen, kam Griffith immer wieder auf die Beine und schaffte es schließlich, so zu leben, wie er wollte: offen schwul, aber nicht demonstrativ – für die aufkeimende Schwulenbewegung in den USA setzte er sich nicht ein.
 
Der 1970 geborene Reinhard Kleist hat sich früh mit Comicbiografien berühmter Musiker wie Johnny Cash („Cash - I see a Darkness“, 2006) oder Nick Cave („Mercy on me“, 2017) wie auch Fidel Castros („Castro“, 2010) einen Namen gemacht und gehört seit langem zu den wichtigsten deutschen Comiczeichnern und -erzählern. Bereits vor Jahren hat er bewiesen, dass sich die Faszination für den Boxsport auch in einen Comic übertragen lässt: In der Graphic Novel „Der Boxer“ (2012) porträtierte er den polnischen Juden Hertzko Haft, der es durch sein Box-Talent schaffte, in deutschen Konzentrationslagern zu überleben. Mittels seines expressiven, kontrastreichen Tuschestils und einer schnörkellosen Erzählweise gelingt dem Zeichner in „Knock Out“ erneut eine spannende, psychologisch genau erzählte Charakterstudie eines Boxers, der bis heute zu Unrecht auf das Image eines „Mörders“ reduziert wird.
Buchcover Knock Out! Die Geschichte von Emile Griffith

Von Ralph Trommer

Ralph Trommer, Dipl. Animator, freier Autor und Künstler, schreibt für verschiedene Medien regelmäßig Rezensionen und Fachartikel über Comics, Graphic Novels und Filme.