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LITERATURAUSTAUSCH
Puzzleteile einer komplexen Realität

Ulla Lenze auf Lesereise in Kairo GR
© Sherif Bakr

Vom 26.-30. März reiste die Berliner Autorin Ulla Lenze nach Kairo und Alexandria, um dort auf Einladung von Litrix.de ihren Roman "Die endlose Stadt" vorzustellen.

Die Lesungen fanden in drei sehr unterschiedlichen Kontexten statt – und entsprechend unterschiedlich waren auch das jeweilige Publikum und seine Art, auf den Roman zu reagieren und mit der Autorin ins Gespräch zu kommen. Die erste Veranstaltung, organisiert in Zusammenarbeit mit der Gudran Association for Art and Development, fand im Kulturzentrum El Cabina in Alexandria statt. Hier traf Ulla Lenze auf junge kulturinteressierte Leute, die zwar größtenteils kein Deutsch konnten, aber dennoch unbedingt bei der Buchvorstellung dabei sein und den Roman kennenlernen wollten. Zur Lesung im Goethe-Institut Kairo kamen dagegen viele Kritiker und Verleger, die bereits von dem Roman gehört hatten, weil er im Rahmen des Schwerpunkts Arabische Welt (2015-2017) von Litrix.de ins Arabische übersetzt werden soll. Die dritte Veranstaltung brachte die Autorin mit Studenten und Dozenten des Fachbereichs Deutsch an der Cairo University zusammen.

Themen- und Perspektivenreichtum

„Es gibt bestimmt viele Wege“: Mit diesen Worten beginnt Ulla Lenze ihren Roman und deutet damit bereits den Themen- und Perspektivenreichtum der von ihr erzählten Geschichte an. Diese Vielfalt und Offenheit spiegelte sich auch bei allen drei Lesungen im  angeregten Gespräch zwischen Schriftstellerin und Publikum wider. "Die endlose Stadt" handelt von zwei jungen deutschen Frauen, die vorübergehend in eine andere Stadt und damit in eine ganz andere Welt ziehen: die Künstlerin Holle nach Istanbul und Theresa, eine Journalistin, nach Mumbai. Anhand der (Fremdheits-)Erfahrungen der beiden jungen Frauen, zweier westlicher Ausländerinnen in Städten des nahen und fernen Ostens, stellt Lenze die komplexen Beziehungen am jeweiligen Ort vor, ohne dabei in die Falle der Stereotypisierung zu tappen. Präzise beobachtend und zugleich temporeich und mitreißend entfaltet Ulla Lenze vor den Augen des Lesers zwei parallele, sich zuweilen kreuzende Geschichten mit eingestreuten Reflexionen und essayistischen Betrachtungen über unsere globalisierte Welt.

Culture Clash?

Auch wenn "Die endlose Stadt" natürlich zunächst für deutsche Leser geschrieben wurde, gab es für das arabische Publikum viele Anknüpfungspunkte. Einerseits thematisiert "Die endlose Stadt" einen äußeren Konflikt, den sogenannten Culture Clash, das mit der Globalisierung einhergehende Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen. Andererseits geht es in Ulla Lenzes Roman um den inneren Konflikt von Menschen aus dem Westen, die sich diesen fremden Gesellschaften gegenüber verantwortlich fühlen, sich jedoch gleichzeitig vor ihnen fürchten oder sie ausnutzen. Die Autorin reduziert diese Konflikte nicht auf die Gegensätze Ost und West, gut und schlecht, sondern sie zeichnet sie so genau wie möglich nach, als Puzzleteile einer komplexen Realität.

Offenheit als Prinzip

Kommt es am Ende zu einer Begegnung zwischen den beiden Frauen? Liebt Holle den Türken Celal wirklich oder erliegt sie am Ende doch der Versuchung einer Beziehung mit dem reichen deutschen Geschäftsmann Christoph Wanka? Muss Kunst eine Botschaft vermitteln und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, oder soll sie die Realität so darstellen, wie wir sie sehen und empfinden? Hat die Glaubwürdigkeit der Presse sich der Weltpolitik und den Forderungen der Massen unterzuordnen? Dies alles sind Fragen, die der Roman aufwirft, aber nicht beantwortet – sie bleiben weit und offen wie die Städte in Ulla Lenzes atmosphärisch dichtem Roman; und es bleibt dem Leser selbst überlassen, Antworten darauf zu finden.


Amira Elmasry

Übersetzung: Jana Duman