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BUCHMARKT
Verbindliche Anreize zum Lesen schaffen

Internationale Buchmesse Sharjah 2016 GR
Internationale Buchmesse Sharjah 2016 GR | © Goethe Institut Gulf Region

Zeitgleich mit der Internationalen Buchmesse im Emirat Sharjah vom 2. bis 12. November hatten die Vereinigten Arabischen Emirate ein neues Gesetz erlassen, das die Rolle des Staates bei der Schaffung von Anreizen zum Lesen regelt.

Dadurch werden beispielsweise Verlagsprodukte pauschal von Steuern und Abgaben befreit. Außerdem sind staatliche Stellen zukünftig verpflichtet, landesweit für die Einrichtung von öffentlichen Bibliotheken oder ähnlichen Institutionen zu sorgen, um das Lesen zu fördern. Der Privatsektor erhält Vergünstigungen für Investitionen in Buchhandlungen und Kulturzentren. Das größte Aufsehen dürfte jedoch die Passage in dem neuen Gesetzestext erregt haben, die den betreffenden staatlichen Stellen vorschreibt, Beamten während der Arbeitszeit die Möglichkeit einzuräumen, sich der Fachlektüre zu widmen.

Diese eindeutige Verpflichtung, Anreize zum Lesen zu schaffen, war auch auf der diesjährigen Internationalen Buchmesse im Emirat Sharjah klar zu erkennen, und zwar nicht nur daran, dass man zahlreiche Aussteller aus den arabischen Ländern und aus aller Welt eingeladen hatte, sondern auch am Rahmenprogramm der Messe, das neben Lyrikabenden, Signierstunden, Präsentationen von Neuerscheinungen und Podiumsdiskussionen zu aktuellen Themen auch Workshops für Kinder und eine Kochecke zu bieten hatte. Darüber hinaus wurden zahlreiche Preise für herausragende Leistungen in der emiratischen und arabischen Literaturszene verliehen. So erhielt der Roman ḥattā ‘āḫiri š-šahri (wörtl.: „Bis Monatsende") der emiratischen Autorin Basema Younes die Auszeichnung „Bestes emiratisches Buch". Der Ägypter Ahmed Khaled Tawfik holte mit seinem Roman mitl īkārūs (wörtl.: „Wie Ikarus") den Preis „Bestes arabisches Buch". Der Preis „Bester emiratischer Verlag" ging an den Medad-Verlag aus Dubai, während der Mamdouh Adwan-Verlag aus Syrien als „Bester arabischer Verlag" ausgezeichnet wurde.

Ganz besonders fiel auf, dass die Veranstalter die Messe perfekt durchorganisiert und großen Wert darauf gelegt hatten, dem Besucher ein rundum unbeschwertes Messeerlebnis zu ermöglichen, sei es durch freien Eintritt für jedermann oder durch einen Veranstaltungszeitplan und detaillierte Lagepläne, denen man entnehmen konnte, wo sich die Aussteller jeweils befinden und auf welche Schwerpunktthemen sie sich konzentrieren. Dass dieses Konzept aufgegangen ist, beweisen auch die Besucherzahlen, die höher ausfielen als bei den meisten vergleichbaren Buchmessen in der Golfregion, vor allem was die Zahl der jüngeren Besucher anbelangt.

Den Ausstellern boten die Veranstalter auch im sechsten Jahr in Folge ein Fachprogramm für alle an, die in der Buchbranche tätig sind. Ziel war unter anderem, günstige Rahmenbedingungen für partnerschaftliche Projekte auf regionaler und internationaler Ebene zu schaffen. Sherif Bakr, Chef des ägyptischen Verlagshauses Dar Al Arabi, spricht in diesem Zusammenhang vom erfolgreichsten Fachprogramm im arabischsprachigen Raum, das konkrete und vernünftige Ergebnisse aufweisen könne, etwa in Form von Buchprojekten oder Kooperationspartnerschaften. Das Programm richtet sich an über 200 Verlage aus verschiedenen Ländern, die dadurch, so Sherif Bakr, die Möglichkeit erhalten, sich in einer angenehmen Atmosphäre näher zu kommen, um gemeinsame Projekte zu planen oder bereits laufende Projekte fortzuführen.

Auch das E-Publishing war auf der Messe gut vertreten, nicht nur bei diversen Podiumsdiskussionen, sondern auch durch einen Einführungsvortrag von Alexander Bergman, Vertreter von Google Play Books, der Verlegern und anderen Interessierten neben den Grundprinzipien des E-Publishings auch ein paar Zahlen über Smartphonenutzer und Anwender von Online-Zahlungsdiensten in den arabischen Ländern nannte, um anschließend die Zukunftsperspektiven für E-Books in der Region zu erörtern. Einen weiteren Beitrag zum Thema E-Publishing lieferte ein Thesenpapier der Firma Rakuten Kobo, mit dem Titel „Wie wir einen zukunftsfähigen Markt für E-Books schaffen können". Darin werden die speziellen Herausforderungen behandelt, die sich in den arabischen Ländern ergeben, beispielsweise in Bezug auf Sprache, rechtliche Bestimmungen oder Zensur. Obwohl sich einige Verleger im arabischsprachigen Raum durchaus für das Thema interessieren, sind nur wenige bereit, sich aufs E-Publishing einzulassen, weil sie die Ansicht vertreten, dass E-Books in einigen arabischen Ländern nach wie vor wenig Zuspruch finden.

Im Veranstaltungsprogramm der Messe war, neben der alljährlichen Vergabe eines Übersetzerstipendiums, auch die Verleihung des mit der Rekordsumme von zwei Millionen Dirham (ca. 250.000 €) ausgelobten Übersetzerpreises „Turjuman" angekündigt. Ferner wurden auf einer Veranstaltung des Goethe-Instituts Qualitätsstandards von Übersetzungen besprochen. Die Übersetzerin Heba Shalaby äußerte sich zu den Merkmalen einer guten Übersetzung. Demnach müsse der Übersetzer einen Mittelweg finden zwischen einer wörtlichen Übersetzung, die den Ansprüchen des Zieltextlesers nicht gerecht wird, und einer zu freien Übersetzung, die dem Anliegen des Ausgangstextautors nicht gerecht wird. Dabei ging es insbesondere auch um die Herausforderungen, vor denen ein Übersetzer steht, wenn er einen „westlichen" Text für arabische Leser mit entsprechendem kulturellen Hintergrund übertragen muss. Ferner kam das Thema Selbstzensur sowie die Pluriglossiesituation im arabischsprachigen Raum zur Sprache. Heba Shalaby betonte, dass Lektorat und redaktionelle Bearbeitung beim Übersetzen eine wichtige Rolle spielten, weil Übersetzen – entgegen der landläufigen Meinung – Teamwork bedeute. Im Anschluss an ihre Ausführungen gewährte Heba Shalaby einen Einblick in den Übersetzeralltag, indem sie als „gläserne Übersetzerin" vor den Augen des Publikums live an ihrem aktuellen Projekt arbeitete, einer im Rahmen des Übersetzungsförderungsprogramms von Litrix.de anzufertigenden Übersetzung des Kinderromans „Im Labyrinth der Lügen" von Ute Krause ins Arabische. Auf diese Weise konnte das anwesende Messepublikum den Übersetzungsprozess aus nächster Nähe verfolgen, sich aktiv an den Entscheidungen der Übersetzerin beteiligen und die massiven Schwierigkeiten, die dabei auftreten können, unmittelbar miterleben.

Im Großen und Ganzen hinterließ die Messe einen überwiegend positiven Eindruck, wobei klar erkennbar war, dass sich in den Emiraten der Staat zusehends für die Themen Literatur und Kultur interessiert. Freilich gibt es beim Veranstaltungsprogramm noch Luft nach oben, insbesondere was eher kontroverse und weniger oberflächliche Themen anbelangt. Ferner sollten sowohl staatliche Zensur als auch Selbstzensur nach und nach reduziert werden, damit Kunstschaffende in einem freundlicheren Umfeld arbeiten und eigenen Ideen gegenüber offener sein können, noch bevor sie sich anderen Kulturen öffnen. Nichtsdestotrotz hat natürlich die perfekte Durchführung, ebenso wie die materielle und praktische Unterstützung der Buchmesse durch den Staat, die Internationale Buchmesse in Sharjah zur führenden Buchmesse in der Region gemacht, nicht zuletzt weil sie den Buchmarkt in der Region ankurbelt.

Amira Elmasry

Übersetzer: Andreas Bünger