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Buchcover Wagner

Martin Geck Wagner

Martin Geck
Wagner

Mit Förderung von Litrix.de auf Russisch erschienen.

Buchbesprechung

​ Der Komponist Richard Wagner, dessen zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, ist eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der Musikgeschichte. Erwartungsgemäß hat das Jubiläum eine Flut biographischer und monographischer Neuerscheinungen ausgelöst, die allerdings, weil sie ihre Entstehung eher einem Kalenderdatum verdanken als der Schließung von Forschungslücken, nicht zwangsläufig zur Neubewertung des Jubilars oder zum tieferen Verständnis seines Œuvres führen. Eine jener Ausnahmen, bei denen Anlass und Ergebnis glücklich zusammenfallen, ist die Wagner-Biographie von Martin Geck.

Der 1936 geborene Musikwissenschaftler wird wegen seiner eigenwilligen Sprach- und Vermittlungskunst seit langem zu den interessantesten Vertretern seines Fachs in Deutschland gezählt. Und er gilt, obwohl er sich als Autor auch um Bach, Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn und Brahms verdient gemacht hat, als Wagner-Spezialist, dessen Kenntnis- und Erkenntnisreichtum stetig gewachsen ist, seit er 1966 Gründungsredakteur der Wagner-Gesamtausgabe wurde. Was ihn jedoch vor allem auszeichnet, ist sein weiter Horizont: Geck ist nicht nur Musikologe, sondern auch studierter Theologe und Philosoph; er ist literarisch hochgebildet; er bewegt sich im Dschungel zeitgenössischer Theorien so sicher wie im Dickicht der historischen Forschung; er beherrscht neben dem wissenschaftlichen Idiom auch das journalistische Schreiben und weiß beides zu einem glänzenden, lebendigen Erzählstil zu verschmelzen.

Wer derart souverän über seinen Stoff und sein Instrumentarium verfügt, muss keine These präsentieren, sondern kann Fragen formulieren, nach deren Antwort er selbst noch sucht. Martin Geck schickt diesen Fragstellungen sein „Autoren-Ethos“ voraus, das da lautet: „Ich will nicht Wagner auf die Schliche kommen, sondern mir selbst und meiner Zeit.“ Das bedeutet, er möchte ergründen, worin die ungebrochene Anziehungskraft vor allem des Wagnerschen Opernschaffens besteht, welche Ideen und Ideologien, Wert- oder Unwertbegriffe sich für die Nachwelt damit verbinden, ob das Werk „Botschaften“ vermittelt und wie diese sich von den Projektionen des Regietheaters unterscheiden.

Seine eigene Wahrnehmung Wagners erlebt der Autor als „Faszination und Grauen in einem empfindlichen Gleichgewicht“. Mit diesem Bekenntnis gibt er die Richtung seiner Untersuchung vor: Es geht ihm um die Widersprüche und Ambivalenzen in Wagners Person, in seinem Œuvre und in dessen Rezeptionsgeschichte. Gecks Ansatz ist hier weniger der des Forschers, der sich um Distanz, Objektivität und Abstraktion bemüht, als der des gelehrten, skeptisch analysierenden und interpretierenden, doch innerlich beteiligten Liebhabers. Aus dieser Perspektive lassen sich die Selbstmystifikationen des Komponisten als Teil seiner Arbeit am „Gesamtkunstwerk“ betrachten und seine Äußerungen „über Gott und die Welt“, die in Cosima Wagners Tagebüchern zu Tausenden überliefert sind, als „eine Fund- und zugleich eine Fallgrube“.

Martin Geck balanciert elegant auf der Grenze zwischen beiden, von der „theatralischen Urszene“ in Wagners Leben bis zu seiner späten Rolle als „Spürhund der Moderne“. So folgt er der Chronologie der Opern in geradezu tänzerischem Rhythmus, eine Fülle an Material, Zitaten und Denkimpulsen, Rück- und Wechselbezügen aufbietend, ohne je weitschweifig zu werden - kühne Sprünge und Accelerandi inklusive. Die Rubrik „À propos“, die jedem der 14 Kapitel nachgeschaltet ist, beleuchtet in knappen Exkursen das Verhältnis von Zeitgenossen und Nachgeborenen jüdischer Herkunft zu Wagner und wendet so das Prinzip der Ambivalenz klug auch auf die heikle Frage an, ob Wagners Antisemitismus sein Werk beschädigt habe. Notenbeispiele und aussagekräftige Abbildungen komplettieren neben Werkregister und Literaturverzeichnis eines der anregendsten Bücher über den schwierigen Fall Wagner, die bis dato erschienen sind.
Buchcover Wagner

Von Kristina Maidt-Zinke

​Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.