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Buchcover Was vom Sommer übrig ist

Tamara Bach Was vom Sommer übrig ist

Tamara Bach
Was vom Sommer übrig ist

Dieses Buch wurde vorgestellt im Rahmen des Schwerpunkts Russisch (2012 - 2014).

Buchbesprechung

​Das darf doch wohl nicht wahr sein? Wie kann denn eine Mutter den Geburtstag ihrer 13-jährigen Tochter vergessen? Jana kann es selbst kaum glauben, aber sie erinnert die Mutter auch nicht daran. Dafür ist sie zu stolz und wohl auch zu verletzt. Aber ihre Eltern sind mit ihren Gedanken woanders, bei Janas älterem Bruder Tom, der im nahen Krankenhaus im Koma liegt.

So wird es ein einsamer Sommer. Einer jener Sommer, in denen man schon morgens um fünf ins Schwitzen kommt. Um diese Zeit beginnt Louise ihre Runde durch die Nachbarschaft, Zeitungen austragen, danach geht es zum Bäcker, wo sie an der Kasse steht. Alles voll verplant, um das Geld für die Fahrstunden zusammen zu bekommen, auch ihre Eltern sind kaum zuhause. Und so lebt auch die 17-jährige Louise im Schatten elterlicher Aufmerksamkeit. Kein Wunder, dass sie den Führerschein machen will, er ist das Unterpfand, der Hoffnungsschimmer, um der Enge der kleinen, heißen Provinzstadt zu entkommen.

Tamara Bach erzählt in ihrem neuen Jugendroman über das, „Was vom Sommer übrig ist“, und das ist dann schließlich doch eine ganze Menge. Zunächst ist da allerdings die stumme Enttäuschung, von den Eltern aufgegeben zu werden. Einsamkeit ist das Thema des Romans. Sehr zart, sehr traurig und sehr liebevoll beschreibt Tamara Bach diesen Zustand der Teenager, den man ihnen nicht ansieht, den sie gut zu verbergen wissen, der ihnen aber ins Herz schneidet. Und als Leser möchte man diesen beiden stolzen, klugen Mädchen, die zwischen dem Kindsein und dem Erwachsensein in ein emotionales Vakuum gefallen sind, am liebsten zur Seite stehen, während sie sich durch diesen filmreifen heißen Sommer bewegen. Dass auch in den Teenagern noch das Herz eines Kindes schlägt, vergisst die Erwachsenenwelt mitunter.

Tamara Bach macht uns empfindsam für ihre Protagonistinnen, die sich trotz des Altersunterschieds so ähnlich sind, dass sie auch zwei Hälften einer einzigen Person sein könnten. Aber genau das soll guter Literatur ja auch gelingen, uns die Hitze und die Verlorenheit der Heldinnen spüren zu lassen. Und sie verharren auch nicht in dieser dicht entworfenen Melancholie, denn wer aus dem Radar elterlicher Sorge herausgefallen ist, dem öffnet sich auch ein Raum der Freiheit.

Jana, die Jüngere, ist es, die in Louise eine Seelenverwandte erkennt, die sie frech anquatscht und ihr auch noch hinterher läuft, als ihr die Ältere eine kalte Abfuhr erteilt. Die beiden finden sich, und sie lassen sich den Wind der Freiheit, die in lauen Sommernächten besonders prickelnd spürbar ist, um die Nase wehen. So viel darf verraten werden von einem Roman, der eine feine Spannung aufbaut, die sich ganz aus den sensiblen Charakteren und der mit wenigen gut gesetzten Details erzeugten Atmosphäre der glühend heißen Kleinstadt, ihrer Landstraße und dem nahen See entwickelt. Die Bilder dieser verschlafenen Ferienwelt hat man als Leser sogleich vor Augen.

Tamara Bach schreibt mit viel Tempo, sie springt, die Sätze folgen rasch und kurz aufeinander. Ein gutes Rezept für eine Prosa, die von zwei verwundeten Heldinnen erzählt, die mehr von innen heraus erzählen, deren Gedanken aber nicht als Worte ihr inneres Gefängnis verlassen können. Mädchen, die oft mehr stumme Beobachter sind, als schwatzende Teenies, die jede Seelenlage schnell in plappernde Mitteilungen verflüssigen.

Der Weg, auf dem Jana und Louise sich ihre Freiheit zu nehmen lernen, macht die Story aus, man folgt ihnen gerne dabei. Stets will man wissen, wie die Geschichte mit all ihren kleinen Katastrophen hinter dem Verkaufstisch des Bäckerladens oder den falschen Freunden am Baggersee weitergeht. Und die Belohnung wartet auf Tamara Bachs Leser, weil die Charaktere der Mädchen sichtbar vor unseren Augen reifen und der Sommer, mit dem, was von ihm übrig bleibt, Zuversicht aufkommen lässt, ohne in die Spurrillen eines Happy Ends abzugleiten.
Buchcover Was vom Sommer übrig ist

Von Thomas Linden

​Thomas Linden arbeitet als Journalist (Kölnische Rundschau, WWW.CHOICES.DE) in den Bereichen Literatur, Theater und Film und konzipiert als Kurator Ausstellungen zur Fotografie und zur Bilderbuchillustration.