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Italienische Rechte bereits vergeben.
Kampf der Show-Architektur! Vittorio Lampugnani plädiert für einen Städtebau, der (fast) ohne Neubauten auskommt
Man kann sich gut vorstellen, dass Vittorio Magnago Lampugnani sich in den historischen Bezirken von London, Mailand oder Paris wohl fühlt. Oder auch in Kopenhagen, Wien und sogar in Teilen von Berlin, also überall dort, wo man sein Credo, nämlich vor allem einen hohen Anteil an „Blockrandbebauung“, schon beherzigte, eher es der Architekt und Architekturhistoriker Lampugnani selbst formuliert hatte. Sein jüngstes und unbedingt lesenswertes Buch enthält insofern keine Überraschungen, als es Lampugnanis oft artikulierte architektonische und städtebauliche Haltung bloß variiert. Aber warum auch nicht, wenn die eigenen Argumente ein ums andere Mal überzeugen können? „Gegen Wegwerfarchitektur“ heißt das kleine Buch, es ist reich und interessant bebildert, und es trägt seine Programmatik bereits im Titel. „Dichter, dauerhafter, weniger bauen“, so der Untertitel, bei dem man sich fragt, wer diesem Vorschlag ernstlich widersprechen könnte.
Lampugnani hat sich über die Jahre einen guten Ruf als städtebaulicher Konservativer erworben. Nichts geht ihm mehr gegen den Strich als die selbstverliebte, floskelhafte Herstellung von Bau-Solitären durch sogenannte Stararchitekten. Auf die klassische Bau-Avantgarde dagegen ist Lampugnani nicht nur kritisch zu sprechen. Le Corbusier oder Gropius waren sicher keine Verfechter des älteren Stadt-Ideals, aber ihre Bauweise kam Lampugnanis Vorstellungen von „dicht“ und „dauerhaft“ (wenn auch noch nicht von „weniger“) nahe. Wenn heute etwa die Frankfurter und die Karl-Marx-Allee in Berlin für ihre sozialistischen Arbeiterpaläste wieder hochgeschätzt werden, dann liegt dem ein öffentlicher Sinneswandel zugrunde. Wir schätzen diese Berliner Achse heute weder aus ideologischen Gründen, noch weil wir ihren Pomp besonders mögen, sondern eher deshalb, weil wir an ihr Solidität und Serialität verwirklicht sehen. Das sind Eigenschaften, die Lampugnani gegen postmoderne und andere Verirrungen aus dem Geist der „Singularität“ positiv hervorhebt.
Wenn aber im Grunde Lampugnanis Kritik und Diagnose nur zuzustimmen ist: warum scheitert dann so häufig die Realisierung solcher guten Absichten? Es ist eine unheilige Allianz aus Architekten selbst sowie aus Bauherren und Bauwirtschaft, die Lampugnani für die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (um Alexander Mitscherlichs berühmten Buchtitel aus den sechziger Jahren zu zitieren) verantwortlich macht. Es gibt, wie der Autor findet, solche und solche Architekten – manche wollen, wie er selbst, reparieren, verdichten und jedenfalls den Bestand erhalten. Andere wollen gerne reich und berühmt werden, was man mit subtilen Reparaturaufträgen in der Regel nicht wird. Daran sind wiederum meist die Bauherren schuld, die ebenfalls, ein Grundproblem der Architektur, sich selbst ein Denkmal setzen wollen. Unter hinter ihnen lauert noch die Bauwirtschaft, die an den Prinzipien „dichter, dauerhafter und weniger“ nur bedingt interessiert ist. Lampugnanis Alptraum ist die zersiedelte, von Pendlern verwüstete stadtnahe „Gegend“, die weder Natur ist noch Stadt. Die Natur will Lampugnani geschützt, aber er will sie nicht unbedingt in die Stadt verlagert sehen, von Parks und Gärten abgesehen, die alles sind, aber keine Natur. Für „urban gardening“ bringt er nur dosiertes Interesse auf, und in den Lobgesang für den von der Bauwirtschaft selbst erzeugten Trend zum Passivhaus, zur Dämmung um jeden Preis und zur häuslichen Stromerzeugung durch Photovoltaik mag er ebenso wenig einstimmen. Das gefällt sicher nicht jedem progressiven Architekten und Politiker, aber Lampugnani ist, wie gesagt, nun einmal ein Konservativer. Und zwar einer von der radikalen Sorte. Man solle überhaupt nicht mehr bauen, rät er dringend. Die angebliche Wohnungsnot von heute sei nur das Ergebnis eines stetig angestiegenen Flächenverbrauchs je Person. Unsere Alt- und Innenstädte brächten, meint er, gut und gerne auch eine wachsende Bevölkerung unter, sogar wohl eine, die am Liebsten in Single-Haushalten lebt. Dafür müsste die Bevölkerung nur eben ihren Lebensstil ändern – ein Haus im Grünen etwa ist für Lampugnani keine zeitgemäße Daseinsform mehr, vor allem, wenn man es neu errichtet. Vielmehr wirbt er für „dichte, sozial und funktional gemischte Quartiere mit angemessen weiten Grundflächen dazwischen, fußgängerfreundliche öffentliche Räume mit hoher Aufenthaltsqualität“ und anderes Gute mehr. Wer die schöne, funktionale und natürlich alte Stadt liebt, wie man sie in Europa und anderswo noch immer sehen und bewohnen kann, ist für Lampugnanis vehementes Plädoyer „gegen Wegwerfarchitektur“ und für einen Städtebau im Geiste des Erhalts dankbar.
Von Christoph Bartmann
Christoph Bartmann war Leiter der Goethe-Institute in Kopenhagen, New York und Warschau und lebt heute als freier Autor und Kritiker in Hamburg.
Inhaltsangabe des Verlags
Ein radikales Plädoyer für eine Architektur gegen die Wegwerfideologie des Kapitalismus. Und ein Angriff auf zu kurz gedachte Vorschläge, die punktuelle Schadensbegrenzung als Nachhaltigkeit deklarieren.
»Baut dauerhafter, dichter und vor allem weniger!« ruft uns der Architekt und Historiker Vittorio Magnago Lampugnani zu.
Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Die meisten Vorschläge zielen auf kurzatmige Maßnahmen wie die Anbringung von Dämmplatten (von Lampugnani »Vermummungsfundamentalismus« genannt) oder die Ächtung von Beton. Um langfristig nachhaltiges Wohnen in qualitativ hochwertigen Häusern zu schaffen, bedarf es aber weit differenzierterer und umfassenderer Überlegungen.
Lampugnani skizziert eine kleine Geschichte des städtebaulichen und architektonischen Konsumismus und baut darauf seine Überlegungen zu einer Kultur substantieller Nachhaltigkeit. Er schreibt an gegen die Auslöschung der Natur durch Zersiedelung und plädiert für eine Strategie der Dichte: Allein die kompakte Stadt kann ökologisch sein.
Um den immensen Material- und Energieverbrauch der Bauwirtschaft zu reduzieren, fordert er eine rigorose Kehrtwende: die Abkehr von der Erschließung weiteren Baulands und dem hemmungslosen Verbrauch von Rohstoffen. Nicht abreißen und neu bauen, sondern umbauen, rückbauen, weiterbauen. Je länger ein Gebäude lebt, desto ökologischer ist es.