Kinder- und Jugendbuch
Stefanie HöflerPhilip Waechter
Ameisen in Adas Bauch. Ein Kinderbuch über leise und laute Gefühle
Dieses Buch wurde vorgestellt im Rahmen des Schwerpunkts Italienisch (2022 - 2024).
Schlüpfender Schmetterling
Wie könnte man auf das Leben von Ada blicken, die bald in die Schule kommt? Die kleine Heldin in „Ameisen in Adas Bauch“, hat einen kleinen Bruder, Max, mit dem sie sich öfter kabbelt, um im nächsten Augenblick mit ihm die schönsten Abenteuer zu erleben. Sie hat eine liebende, fürsorgliche Mama, auf die sie sich immer verlassen kann. Von einem Papa ist in Stefanie Höflers „Kinderbuch über laute und leise Gefühle“ nie die Rede, dafür aber von Mamas bestem Freund Paul, einem Schwarzen Musiker. Den mag Ada besonders gern, weil er sie ernst nimmt in ihrem Zaudern (manchmal), in ihren Ängsten (manchmal) und ihren Glückmomenten (manchmal). Wie könnte man also aufs Leben dieser kleinen Persönlichkeit blicken, ohne auf sie herabzuschauen oder sie größer zu machen als sie eben ist? Die einen sagen: „Elf Zentimeter zu klein.“ Andere behaupten, sie sei wie ein Schmetterling, der noch nicht ganz aus dem Kokon geschlüpft ist.
Man könnte auf Adas Leben blicken wie die Schriftstellerin Stefanie Höfler und der Illustrator Philip Waechter das tun. Die beiden betrachten Adas Leben bei Sonnenschein, bei Wolken, Regen und Gewitter – und lassen am Ende der Geschichte(n) die Sonne zurückkehren. Und zwar zu all jenen Menschen und Orten, die Adas Leben im Sommer vor dem ersten Schultag prägen. Neben Mama, Max und Paul ist das natürlich Oma, die gerne ein bisschen anders lebt, als man es von ihr erwartet. Dann Laila, Adas beste Freundin, die mit Mutter und Tante vor ein paar Jahren vor dem Krieg geflüchtet ist. Schon mit drei Jahren haben sich die beiden auf der Schaukel kennengelernt. Dann ist noch Lailas Freund wichtig, der seltsame Linus, den Ada immer eifersüchtig beäugt, dann ihre Lieblingserzieherin und ihre zukünftige Lehrerin, die sie bereits vom Vorschulunterricht kennt. Nicht zu vergessen: das Huhn Stracciatella, das Oma ihr gegen Mamas Willen geschenkt hat.
In vielen Kapitelchen, die von für Ada bedeutenden Ereignissen berichten, gewährt Stefanie Höfler als nahe und wohlgesonnene auktoriale Erzählerin Einblicke in das Auf und Ab von Adas lauten und leisen Gefühlen. Die Ameisen, die in Adas Bauch bei ihren täglichen Welterforschungen kribbeln, bei Abenteuern in bekannten und unbekannten Gefilden, bei angsterregenden und freudigen Ereignissen, bei Wut, Trauer und bei Glücksmomenten – die Ameisen gehören einfach zu diesem kunterbunten und manchmal auch schwarzgrauen Leben. Und wenn man, wie Ada, in der verwirrenden Welt Orte der Geborgenheit kennt, dann sind – trotz mancher Scheu – Neugierde und Mut, Neues zu erforschen, weit größer, als wenn es diese Orte nicht gäbe. Die Sonnenfleckennachmittage auf dem großen, flauschigen Teppich in Mamas Schlafzimmer gehören zu diesen Refugien, Mamas Arm, von dem aus man sich in ihr Haar kuscheln kann, ihre warmen, schützenden Hände, aber auch der Hinterhof mit dem riesengroßen Rhododendronbusch, wo man ein Raumschiff zur Rettung vom Regen bedrohter Bienen, Schmetterlinge und Marienkäfer starten und landen lassen kann, oder wo man mit einem auf den Boden gemalten Piratenschiff jedes Kliff umsegelt. Und schließlich gibt es natürlich noch den magischen Ort für alle sommerlichen Wetterlagen: das Freibad.
Erstaunlich, wie groß das Universum eines sechsjährigen Menschenkindes sein kann! Stefanie Höfler erzählt von oder besser: aus diesem Universum, das sie feinsinnig und präzise beobachtet. Sie erzählt mit einfühlsamen, an Sprachbildern reichen Worten von Adas leisen und lauten Gefühlen in dieser wundersamen Welt, die das Kind Tag für Tag zum Staunen bringt. Und manchmal auch zum Weinen. Philip Waechter illustriert Adas Leben mit humorvollen kleinen farbigen Szenen im Comicstil – auf nahezu jeder zweiten Seite kongenial zur Erzählung. Da schießen die Blitze förmlich aus Mamas wütenden Augen, Linus und Laila verwandeln sich in verschrumpelte Nacktmulche. Und die Freibadpanoramen zu jeder Wetterlage animieren einen, die Badesachen sofort aus der Schublade zu holen und sich auf den Weg zu machen. Mal sehen, ob Ada es bis zum Ende des Sommers schafft, ihre furchtbare Angst vor dem Kopf-unter-Wasser-Tauchen zu überwinden. Den Gedanken an Pauls Wette, dass sie das schafft, hat sie nämlich erstmal ganz weit weggeschoben. Wenn da nur diese Neugier nicht wäre, die erst in den Fußspitzen kitzelt und dann immer weiter nach oben kriecht…
Von Siggi Seuß
Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.