Kinder- und Jugendbuch
Übersetzungsförderung
Für diesen Titel bieten wir eine Übersetzungsförderung ins Polnische (2025 - 2027) an.
„Weil ich es kann“
Ulrike Möltgens poetisches Bilderbuch über Selbstermächtigung – „Ich war die ganze Welt“
Der Titel ist Programm: „Ich war die ganze Welt“ – ein Bilderbuch von Ulrike Möltgen, geboren 1973, vielfach ausgezeichnete Künstlerin aus der Schule Wolf Erlbruchs. Die kleine Geschichte führt – mit poetischen Versen der Illustratorin unterlegt – in eine kindliche Zeit zurück, in der man glaubte, Mittelpunkt der Welt zu sein. Man nahm die kunterbunten Ereignisse um sich selbst herum mit staunenden Augen wahr und ging dabei getrost davon aus, man sei stark genug, die sichtbare Welt im Zaume zu halten. Zumindest im Traum. Es geht um die „Selbstermächtigung“ eines Kindes, wenn man das, was dem Mädchen in der Geschichte geschieht, ganz unpoetisch psychologisch ausdrücken wollte.
Von dieser kindlichen Erfahrung erzählt das kleine Mädchen mit dem pechschwarzen Haarschopf, das in seinem Bettchen liegt und – die Augen schon geschlossen – ins Traumland hinübergleitet, auf poetische Weise: „Ich lag im Bett und träumte / Ich wär die ganze Welt / Der Dschungel lag in meiner Hand / Die Knie waren Felder“. Der eigene Körper als Planet, auf dem sich in der Nacht die einzigartigen kindlichen Erfahrungen schlafen legen, die tagsüber wie Monde um ihn kreisen.
Schon das erste Bild besticht durch seine fantastische Illustration der Erfahrungswelt des Kindes. Wie eine weiche, schützende Fleckerldecke umhüllen sie das Mädchen. Da sieht man, vielleicht über dem Bauch, einen Bauernhof, umgeben von Reisfeldern, dort, am linken Arm, schemenhaft einen nächtlichen Dschungel, in dem ein Äffchen herumturnt. Andere Teile der Erinnerung verschwimmen noch im Ungefähren. Am rechten Fuß des Kindes wartet eine Menschenmenge vor einem rotweiß gestreiften Zirkuszelt. Das scheint eine der frischesten Erinnerungen, noch nicht gänzlich Teil der eigenen Welt. Man glaubt, die Aufregung, vielleicht auch die Angst des Mädchens vor dem Fremden zu spüren. Aber keine Sorge! Oben im Haar sitzt ja der kleine Löwe Trinidad und wacht darüber, dass der Traum nicht zum Albtraum wird. „Er sitzt nur da / Im sanften Wind / Da weht sehr schön / Sein Haar“.
Spätestens jetzt braucht es ein paar Worte zum zauberhaften, ungewöhnlichen Illustrationsstil. Man muss zwar nicht begreifen, wie sich diese Kunst zusammensetzt, aber bereichernd ist es allemal, etwas davon zu ahnen. Die Bilder sind opulent und farbenfroh mit Acryl- und Ölfarben zu Papier gebracht, gemalt, getupft, gesprüht, mit Kreiden feingezeichnet und gewischt. Auf die Szenen sind verschiedene Materialien collagiert. Dieses Collagieren geschah zuerst analog. Die Digitalisierung der Bilder ermöglichte dann das Verschieben einzelner Szenen in andere Erzählkontexte.
Auch wenn am Rande des Traums die Lebenswelten vorüberziehen: Es ist der Zirkus, der das Kind im Traum erregt, der Eintritt in eine fantastische neue Welt. Die Mimik des Zirkuspublikums wird detailliert ins Bild gesetzt, der seltsame Harlekin, vor allem die angsterregende Gestalt des Herrn Direktor Zampano. Das Unbekannte trägt dazu bei, das Traumherzklopfen in die Höhe zu treiben. Vor allem, als Zampano versucht, den vom Mädchen geliebten Löwen Trinidad zu bändigen. Aber weil das Kind, bei aller Angst, Herrscherin über den Traum sein will, muss nun Schluss sein mit dem Spektakel! „Mir reicht das jetzt / Das ist mein Traum / Ich lass die Erde beben“.
Ulrike Möltgens Traumgeschichte ist ein bild- und wortpoetisch berührendes kleines Kunstwerk, das auf traumwandlerische Weise zeigt, wie ein Kind über seine Welt verfügt, verfügen kann. Und ein kleiner sandgelber Löwe, dessen Mähne forsch im Winde weht, der sollte einem allemal als Freund zur Seite stehen, ein kleiner sandgelber Freund, der das Böse in den Träumen beiseite brüllt und den man, ohne mit der Wimper zu zucken, aus jeder Notlage befreit. „Ich setz ihn erst auf meine Hand / Und trag ihn dann behende / Zurück / Weil ich es kann“.
Von Siggi Seuß
Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.