Volker Weiß Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört

Buchcover Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört

Inhaltsangabe des Verlags

Klett-Cotta Verlag
Stuttgart 2025
ISBN 978-3-608-96667-1
28 Seiten
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Übersetzungsförderung
Für diesen Titel bieten wir eine Übersetzungsförderung ins Polnische (2025 - 2027) an.

Mechanismen der Umdeutung: Die Begriffsoffensive der neuen Rechten

„Deutsches Demokratisches Reich“, also eine „DDR zwei“, die fantastische Fusion von Deutschem Reich (1871 bis 1945) und Deutscher Demokratischer Republik (1945 bis 1989): wer kommt auf solche Ideen? Nun, es war Jürgen Elsässer, der rechtsradikale Publizist und Aktivist, der 2023 beim „Tag der deutschen Freiheit“ in Gera diese Vision von einem anderen Deutschland verkündete. Die Frage sei, so Elsässer, „ob wir nicht im Osten die DDR neu gründen sollten. Aber nicht auf sozialistischer Grundlage, sondern als Deutsches Demokratisches Reich.“ Der ausgeschlossene beziehungsweise anzuschließende Dritte wäre in dieser verwegenen Konstellation die Bundesrepublik. Sie brächte immerhin den Vorteil mit, tatsächlich zu existieren. Aber das ist für Rechtsextreme wie Elsässer oder den ihm nahestehenden Björn Höcke ohne Bedeutung. Träumen wird man ja wohl dürfen, und zwar von einer großen Allianz der Anti-Liberalen. Ihre Avantgarde ist der Ostdeutsche, wie ihn sich die AfD wünscht.

„Die Hoffnung“, so noch einmal Elsässer, „für mich liegt eindeutig im Osten, wo die Menschen noch Deutsche bleiben und Deutschland verteidigen wollen.“ Man versteht: die Ostdeutschen wehren sich gegen den Zustrom von Migranten. Sie wollen Deutsche bleiben. Darin besteht der Akt der Verteidigung. Und hier sind sie sich wiederum einig mit Putin und Orbán und allen anderen, die mit Freiheit den Schutz nationaler Identität meinen. Die Ostdeutschen, wie Elsässer sie erträumt, verteidigen Deutschlands Freiheit nicht gegen Putin, sondern gegen ARD und ZDF, also die gebührenfinanzierten Lügenmedien. In der neuen DDR wäre mit alledem Schluss.

Der Historiker Volker Weiß macht sich in seinem neuen Buch die Mühe, im neurechten Gedankengestrüpp die eine oder andere zurechenbare ideologische Position ausfindig zu machen. Was wollen die Elsässers und Höckes eigentlich genau, oder wissen sie es selbst nicht? Jedenfalls finden ihre wirren Gedanken Zuspruch über die eigene Anhängerschaft hinaus. Wir haben es mit selbsternannten revisionistischen Geschichtsdenkern zu tun. Sie bieten uns ein Update der Vergangenheit an, in dem Deutschlands Geschichte und Identität in frischem Glanz erstrahlt. Geschichtspolitik heißt die rechts außen gepflegte Version von Kulturpolitik. Wer den politischen Zugriff auf die Geschichte erlangt und neue Erzählungen von nationaler Größe propagiert, kann Ansprüche auf die Zukunft anmelden. Warum sollte in Deutschland falsch sein, was in Putins Russland und demnächst vielleicht in Trumps Amerika geschieht: die große Reinigung der Geschichte von (selbst-)kritischen Inhalten? Eine Schlüsselfrage der extremen Rechten in Deutschland ist die nach dem Verhältnis zu Russland. Weiß gibt ausführlich die Ideen des neuen russischen Nationalismus wieder, die jetzt auch in Deutschland anschlussfähig werden. Wie aber halten es die AfD und ihre Sympathisanten mit der Ukraine? Und wie mit Deutschlands Haltung im Ukrainekrieg? Die Ansichten dazu gehen, wie Weiß zeigt, im rechtsextremen Lager weit auseinander. Wie sähe eine deutsche Politik aus, in der die AfD über militärische Fragen mitentschiede? Man möchte es sich nicht vorstellen.

Oft genug geht es rechts außen auch bloß um leere Rhetorik, um lose Sprüche, die garantiert auch von den Feindmedien ARD und ZDF gemeldet werden. So etwa, wenn Alice Weidel und andere AfD-Größen den Nationalsozialismus zu einer „linken“ Bewegung umdeuten, eine Mär, die Weiß gründlich dementiert. Solche Provokationen dienen dem Zweck, den geschichtspolitischen Status Quo zu zerrütten und die andere Seite als bloße Besitzstandswahrerin von Moral, Schuld und Sühne dastehen zu lassen. Rechte Begriffe und rechte Umdeutungen von sonst links codiertem Vokabular sind auf dem Vormarsch. Die „Subversion der Subversion“, wie Weiß die rechte Begriffsoffensive nennt, ist in vollem Gange, und es ist aktuell unklar, welche Gegenmittel Erfolg versprechen. Weiß‘ höchst lesenswertes Buch will dazu beitragen, die „Mechanismen“ des Geschichtskriegs von rechts außen „zu durchschauen und eine seiner wirkungsvollsten Waffen“, nämlich die Umdeutung des Nationalsozialismus, „zu entschärfen“. Der Beschuss von rechts wird vorerst nicht aufhören, so dass auch die Arbeit der Entschärfung derzeit keine Pause duldet.

Von Christoph Bartmann

Christoph Bartmann war Leiter der Goethe-Institute in Kopenhagen, New York und Warschau und lebt heute als freier Autor und Kritiker in Hamburg.

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