Daniel Marwecki Die Welt nach dem Westen. Über die Neuordnung der Macht im 21. Jahrhundert

Buchcover Die Welt nach dem Westen. Über die Neuordnung der Macht im 21. Jahrhundert

Inhaltsangabe des Verlags

Aufbau Verlag
Berlin 2025
ISBN 978-3-96289-239-5
288 Seiten
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Für diesen Titel bieten wir eine Übersetzungsförderung ins Polnische (2025 - 2027) an.

Zwischen Zukunft und Vergangenheit: Europas Rolle in der postwestlichen Welt

Für seine Analyse der postwestlichen und multipolaren Welt bringt Daniel Marwecki gute Voraussetzungen mit. Der deutsche Politologe lehrt internationale Beziehungen an der University of Hong Kong. Für seine Studentinnen und Studenten, berichtet Marwecki, spiele Europa politisch nur noch eine Nebenrolle. Anders sehe es mit den USA aus, aber China scheint ihnen gut gerüstet im Wettbewerb mit dem amerikanischen Rivalen. Für Marwecki selbst fühle sich das Reisen zwischen Asien und Deutschland „zusehends wie ein Pendeln zwischen Zukunft und Vergangenheit“ an: „Wirtschaftliche Unsicherheit, Armut, Zerfall der Infrastruktur und soziale Verwahrlosung“, so sieht Marweckis Deutschlandbild aus. Auch politisch habe sich das Land ins Abseits manövriert, vor allem wegen seiner einseitigen Solidarität mit Israel nach dem 7. Oktober 2023. Recht trostlos findet Marwecki die deutsche Lage, über die chinesische verliert er dagegen kein böses Wort. Der nächsten Visaverlängerung dürfte somit nichts im Wege stehen.

Abgesehen von Marweckis Geringschätzung für manche europäischen Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheit kann man seiner Beurteilung der postwestlichen Weltordnung durchaus folgen. Der Blick von Hongkong aus schärft den Realitätssinn und wirkt gegen „deutsche Weltfremdheit“. Der Abstieg Deutschlands und Europas, wirtschaftlich, politisch und kulturell, ist für Marwecki unaufhaltsam. Nun käme es alles darauf an, ihn wenigstens zu „managen“. Der Abstieg der einstmals kolonialen Imperien, allen voran Großbritanniens und Frankreichs, mag eine ausgemachte und sogar begrüßenswerte Tatsache sein. Wie aber soll man den Aufstieg von Akteuren von China über Indien bis Brasilien bewerten? Eine kulturelle Hegemonie wie jene des „Abendlands“ wird von keinem dieser Akteure zu erwarten sein, macht Marwecki deutlich, und sicher auch keine unerbetene Lektion in Sachen Freiheit und Menschenrechte. Der „Aufstand der Anderen“ und ihr Aufstieg vollzieht sich ohnehin auf ganz unterschiedlichen Pfaden, von denen die ostasiatische „Industrialisierungsmission“, nämlich ein robuster, exportstarker Staatskapitalismus, das größte Potential bietet. Was in China gelang, könnte demnächst etwa auch in Indonesien gelingen, meint Marwecki. Aber hat nicht der ökonomische Erfolg Ostasiens viel mit seiner Kultur des Kollektivs zu tun? Und was könnte (und möchte) Europa von dieser Kultur lernen?

Marwecki beschreibt den Aufstieg der nicht-westlichen Mächte als eine Geschichte mehrerer Emanzipationen. Ihren Ausgang nahmen sie in den Befreiungskämpfen, die in die erste Dekolonisierung um 1960 mündeten. Nun sei eine „zweite Revolte gegen den Westen“ zu beobachten. Entzündet habe sie sich an den Kriegen in der Ukraine und in Gaza. Von China und seinen vielen Freunden in der Welt her betrachtet, sind beide Konflikte zwar misslich, keinesfalls aber erfordern sie eine Parteinahme zugunsten des Westens. Wer ist überhaupt der Aggressor? Moskau setzt sich bekanntlich gerne als Anwalt der Dekolonisierung in Szene und kämpft demnach in der Ukraine gegen die US-Hegemonie und für die multipolare Weltordnung. Und die Palästinenser dürfen sich der Sympathie des „Globalen Südens“ solange sicher sein, wie sie ausschließlich als Opfer eines „kolonialen Projekts“ namens Israel betrachtet werden.

In der Welt nach dem Westen sind moralische Maßstäbe, für die Europa berühmt oder berüchtigt geworden ist, in Misskredit geraten. Auch die USA richten sich gerade in dieser neuen Welt ein oder erschaffen sie mit. Diese Welt wird multipolar, hochkompetitiv und, wenn nötig, auch kriegerisch sein. Europas „Traurigkeit“ über diese neue Welt möchte Daniel Marwecki ausdrücklich nicht teilen.

Von Christoph Bartmann

Christoph Bartmann war Leiter der Goethe-Institute in Kopenhagen, New York und Warschau und lebt heute als freier Autor und Kritiker in Hamburg.

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