Buchmarkt
Irgendwie anders?

Vielfalter – Literaturpreis für Vielfalt im Kinder- und Jugendbuch
© Literaturhaus Kassel

Am 12. September 2025 wurde bereits zum zweiten Mal im Rahmen eines Symposiums im Palais Bellevue, Sitz des Kasseler Literaturhauses, der mit insgesamt 12.000 Euro dotierte „Vielfalter – Literaturpreis für Vielfalt im Kinder- und Jugendbuch“ vergeben.

Die diesjährigen Preisträger sind Günther Jakobs mit „Genug gebrüllt Löwe – Jetzt bestimmen wir!“, Mandy Schlundt mit „Rappel im Karton“ und in der Kategorie unveröffentlichte Manuskripte Maja Irisch mit „Die gehörnte Prinzessin“. Dieses Werk wird als Kinderbuch bei ARENA und als Hörbuch bei DAV (Der AudioVerlag) erscheinen. Ausgezeichnet werden „Geschichten mit literarischer Qualität, Tiefgang und komplexen Figuren, in denen Diversität als integraler Teil der Realität von Kindern und Jugendlichen behandelt wird.“ So ist es in der Ausschreibung formuliert. Drei Jurys haben die mehr als 200 Einsendungen geprüft und sich dann für die diesjährigen Preisträger entschieden. 2027 geht der Preis in die nächste Runde.
 

Günther Jakobs, Mandy Schlundt © Fischer / Sauerländer, © Sauerländer


Bilderbuch

Bereits Kinder im Kita-Alter hat das Bilderbuchdebüt 9 kleine Menschen im Blick. Regina Feldmann beginnt mit knappen, eingängigen Reimen: „9 kleine Menschen kommen heute raus.“ Und das ist die Gemeinsamkeit der Hauptfiguren dieses Bilderbuches. Alle sind am selben Tag auf die Welt gekommen und haben dieselben Bedürfnisse: Hunger, Liebe, Sicherheit, Spielen, Frieden. Aber ihre Lebenswelten sind vielfältig. „Diversität und Inklusion im Kinderbuch ist so viel mehr als nur unterschiedliche Hautfarben. Es geht nicht darum, jeden Stift und jede Farbe einmal zu benutzen, sondern vor allem auch darum, Klischees zu vermeiden und verschiedene Körperformen, Fähigkeiten, Orientierungen und soziale Herkünfte zu zeigen – z.B. eine tätowierte Oma oder eine schwangere Frau im Rollstuhl,“ so Illustratorin Martina Stuhlberger. Sie füllt die Doppelseiten beschwingt und taucht die Großstadtszenen luftig in pastellene Farben. Anna Mendel hat das Sensitivity Reading übernommen: „Das bedeutet für mich vor allem, Diskriminierung in Text und Bild zu verringern, so dass Kinder von Anfang an Alternativen zu dem sehen, was sie bisher kannten. Regina Feldmann und Martina Stuhlberger haben hier auch schon vor meiner Bearbeitung sehr gute Arbeit geleistet,“ resümiert sie.

Bei Susie im Supermarkt von Daniel Fehr und Claudia Burmester steht lediglich ein Mädchen im Mittelpunkt. Allerdings hat ihre Mutter keine Zeit für sie. Es ist Samstag und die Mutter muss als Kassiererin arbeiten. Susie beobachtet derweil die Menschen, die zum Einkaufen in den Supermarkt kommen. Aus Kinderperspektive geschildert entdeckt man beim Vorlesen Aspekte wie Armut, denkt über die Situation von Alleinerziehenden nach und bekommt eine Idee davon, wie man aus einer schwierigen Situation das Beste macht. „Ich mochte den kurzen, auf den Punkt gebrachten Text von Daniel Fehr sofort. Über die Nominierung zum diesjährigen Vielfalter-Preis habe ich mich sehr gefreut,“ so Burmester.
 

9 kleine Menschen, Susie im Supermarkt, Ein Liekesch für Jascha © NordSüd, © Bohem, © Gerstenberg


Kinderbuch                               
                                                                                                          
Auch Ein Liekesch für Jascha, von Mehrnousch Zaeri-Esfahani und Frauke Angel gemeinsam geschrieben und illustriert von Barbara Jung, stand auf der Nominierungsliste für den Vielfalter-Preis und steht auch auf der Shortlist des Deutschen Kinderbuchpreises 2025. Hier geht es um ein Kind, das sich die deutsche Sprache erst noch erschließen muss. So kommt es auch zu dem Missverständnis, das zum Motor für die Geschichte wird. Denn Jascha ist auf der Suche nach diesem seltsamen Ding namens Liekesch. „Ich schreibe nun mal realistische Stoffe und bilde das Leben ab, so wie ich es beobachte und kenne. Und mein Leben ist divers,“ so die Autorin Angel. Die warmherzige Entwicklungsgeschichte nimmt ab dem ersten Satz gefangen und gewinnt noch zusätzlich durch die originelle Gestaltung von Barbara Jung. Cover, Stadtplan, Figuren und die Briefe, die Frank, eine weitere Hauptfigur, schreibt, machen das Buch lebendig und verleihen dieser überzeugenden Integrations- und Freundschaftsgeschichte einen bunten Rahmen.

Bunt geht es auch in der diversen Klasse zu, die uns Tanya Lieske in den beiden Bänden Die verschwundene Mathilda und Die Schlamassel-Fahrt der Kinderbuchreihe Wir sind (die) Weltklasse! mit Illustrationen von Sybille Hein präsentiert. Denn in der Igelklasse begegnen sich Kinder aus ganz vielen Ländern – und mit der patenten und zugewandten Klassenlehrerin Frau Meister haben sie großes Glück. „Beim Illustrieren habe ich natürlich darauf geachtet, dass man den Kindern ansieht, dass sie aus verschiedenen Kulturkreisen stammen. Die Kinder dieser Klasse erleben sich aber als Kinder, unabhängig von ihren Lebenshintergründen, kulturellen Prägungen und äußerlichen Unterschieden,“ so Sybille Hein. Deren überbordende Illustrationskunst ist ein echter Glücksfall, denn so humorvoll, turbulent und liebenswert geht es im Kinderbuch selten zu. Auf die nächsten Bände darf man also schon gespannt sein. 
 

Tanya Lieske, Josephine Apraku © Hanser, © Carlsen

Jugendsachbuch

Dieses Sachbuch für Kinder ab 12 Jahren erweitert den Horizont, denn es erklärt alle Begriffe, die es rund um das Thema zu kennen gilt: Diskriminierung geht uns alle an, herausgegeben von Josephine Apraku, versammelt viele Menschen, die je eines der insgesamt zehn Kapitel gestalten, sachlich und persönlich zugleich. „Für mich war besonders, dass Menschen zu Wort kommen, die nicht nur eine, sondern mehrere Formen der Diskriminierung gleichzeitig erfahren. Kinder sind ja oft auch nicht nur von Adultismus betroffen, sondern auch von Rassismus, Sexismus oder Klassismus. Ich finde es wichtig, dass sie verstehen, dass es nicht an ihnen als Einzelperson liegt, sondern an Strukturen,“ so Apraku. Fragen fordern zum aktiven Mitmachen und Mitdenken auf. Nach dieser anregenden und erhellenden Lektüre stellt sich unwillkürlich der Wunsch ein, Menschen eines jeden Alters mögen einander zugewandt, offen und vorurteilsfrei begegnen.


Antje Ehmann arbeitet als freie Journalistin, Referentin und Jurorin im Bereich Kinder- und Jugendliteratur.

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