Susan Kreller Das Herz von Kamp-Cornell

Buchcover Das Herz von Kamp-Cornell

Inhaltsangabe des Verlags

Carlsen Verlag
Hamburg 2025
ISBN 978-3-551-58546-2
288 Seiten
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Übersetzungsförderung
Für diesen Titel bieten wir eine Übersetzungsförderung ins Polnische (2025 - 2027) an.

Ein Haus, in dem kein Frieden herrschte

Susan Krellers bisherige Buchtitel signalisieren schon die literarischen Vorlieben und Stärken der preisgekrönten Autorin: „Schneeriese“, „Elefanten sieht man nicht“ oder „Elektrische Fische“. Sie sind konkret und paradox zugleich, Metaphern für Situationen oder Konflikte, die sich nicht einfach lösen lassen. Immer bleiben, trotz großer Anschaulichkeit, Fragen offen und damit ein Rest Verunsicherung. Happy End ist nicht in Susan Krellers Romanen, und darum lassen sie einen auch nicht so schnell los.
  
So auch ihr neuer Roman „Das Herz von Kamp-Cornell“! Eigenwillig ist schon der Einstieg: Ein Brief, der nur zwei Wörter enthält, ist die Initialzündung dafür, dass vier erwachsene Schwestern, die keinerlei Kontakt mehr zueinander hatten, mit ihren Kindern zurückziehen in ihr riesiges ehemaliges Elternhaus. Dort lebt bzw. stirbt gerade der alte Vater, doch die Ursachen für seinen schlechten Zustand sind sehr undurchsichtig.

Warum die vier Frauen mit ihren insgesamt fünf Kindern zurückgekehrt sind, wird nur raunend angedeutet. Es muss mit ihrer dramatischen Kindheit in diesem unheimlichen Anwesen zu tun haben. Weitere geheimnisvolle Figuren und Ereignisse schaffen immer neue Rätsel: Ein spirituelles nächtliches Geheimtreffen, ein labyrinthisch angelegter Garten ohne Eingang, rätselhafte Initialen an den Wänden, Stromausfälle, ein „ungenutztes Zimmer“, ein undurchschaubarer Friedhofsgärtner und eine Spukgestalt – lauter altbekannte Sujets des Horrorgenres – verunsichern und ängstigen die Familie.

Während die Mütter schweigen, die Köpfe einziehen und alles ignorieren, versuchen die Kinder eher hilflos, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Ereignisse ziehen sich über Monate dahin, die Zeit scheint stillzustehen, „ist ausgeleiert“, und das normale Alltagsleben – Schulen oder Jobs – sind fast ganz ausgeblendet. Die Zukunft ist ebenso unklar wie die Vergangenheit, jeder Tag fühlt sich an wie die „Ruhe vor dem Sturm“. Der Sturm, der dann schließlich doch noch kommt, bringt ein schreckliches, aber unrealistisches und darum auf den Leser eher harmlos wirkendes Geheimnis ans Licht. 

Susan Kreller erzählt, anders als in früheren Romanen, aus der Perspektive eines routinierten allwissenden Erzählers, der die Handlung bewusst dirigiert, kommentiert, reflektiert oder hinterfragt, der voraus- und zurückdeutet und seine Figuren, die alle irgendwie fragil oder beschädigt sind, eher distanziert schildert. Obwohl dieser Erzähler sich viel Zeit lässt für detaillierte Schilderungen von Dialogen, Situationen und Emotionen, lässt er alles Wichtige im Ungefähren. Das wirkt einerseits stimulierend und spannend, andererseits manchmal ein wenig gewollt. Bei aller Vagheit kommt aber immer wieder eine hintergründige, manchmal sogar böse Komik auf, sie setzt der komplizierten, vieldeutigen Geschichte leuchtende Funken auf.

Kreativ und pointiert erzählt Susan Kreller ihre unheimliche Geschichte, sie malt unzählige beeindruckende Bilder, findet erstaunliche Vergleiche und eigenwillige Metaphern. Man bleibt immer wieder begeistert hängen an Formulierungen wie „März am ganzen Himmel“ oder „ihre Stimme […] flirrte in trauriger Entschlossenheit“. Emotionale und körperliche Zustände bringt sie sinnlich auf den Punkt, Wortspielereien nehmen die Wörter beim Wort und rütteln auf. Susan Krellers Sprache ist das Gegenteil von glatt, sie flirrt und schlägt Saltos, bürstet Lese-Gewohnheiten gegen den Strich und zwingt zur Aufmerksamkeit.

Für Übersetzer wird diese vielschichtige, andeutungsreiche und sprachlich komplexe Geschichte sicherlich eine Herausforderung sein. Angelegt zwischen Krimi und Horror, Schauergeschichte und Familiendrama überspringt sie nicht nur die Genregrenzen, sondern geht auch sprachlich weit über den Ton gängiger Jugendliteratur hinaus. Doppeldeutigkeiten, Hintersinn und Wortneuschöpfungen wirken manchmal ein wenig manieriert, aber immer interessant und häufig faszinierend. Wie auch die Lösung des ganzen großen Geheimnisses – je nach Geschmack und Lesegewohnheiten – leicht überkonstruiert oder aber vollkommen logisch erscheint.
Buchcover Das Herz von Kamp-Cornell

Von Sylvia Schwab

​Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.

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