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LITERARISCHES ÜBERSETZEN
Die Arbeit mit der Goldwaage

Arabische Übersetzerwerkstatt im Literaturhaus München 2017
© Goethe-Institut

Treffen sich ÜbersetzerInnen, um ihre Projekte zu besprechen, dann ist die Zeit, so viel davon auch zur Verfügung stehen mag, immer zu knapp. Es wird überlegt, nachempfunden, beratschlagt, debattiert, gezweifelt, in Frage gestellt, umgekrempelt, verworfen, restrukturiert, neuformuliert. Unermüdlich.

Und die berühmte Goldwaage ist dabei unverzichtbares Gerät im Dauereinsatz. In die Waagschale wird alles geworfen: ganze Passagen, Sätze, Phrasen, Wörter, Buchstaben, ja sogar Punkt, Komma und Ausrufungszeichen. Der Übersetzung, das ist klar. Aber auch des Originals. Denn Übersetzer sind bekanntlich äußerst genaue und kritische Leser. Folglich ergeben sich in der Auseinandersetzung mit der Übersetzung unweigerlich auch Fragen an den Originaltext. Wie ist das Geschriebene zu verstehen? Was ist der Kontext? Gibt es einen Subtext? Sind die vorliegenden Formulierungen der Struktur der Originalsprache geschuldet oder beabsichtigtes Stilmittel? Welche narrative Haltung lässt sich erkennen? Aus welcher Perspektive wird erzählt? Endlos lang ist die Liste der Fragen.

Der Text wird kollektiv unter die Lupe genommen, beleuchtet, gewendet, von allen Seiten betrachtet, interpretiert, gegen den Strich gebürstet – formal und inhaltlich. Und sind diese Punkte geklärt bzw. angesprochen, denn eine eindeutige, definitive Antwort gibt es selten, geht es wieder an die Übersetzung, also darum, den Ausgangstext „adäquat" in die Zielsprache zu bringen. Ein Anliegen, das überaus gesprächsanregend ist. Denn auch hier gibt es nicht „die eine richtige Lösung", sondern viele Möglichkeiten und Ansätze.

Ein solches Übersetzertreffen fand also Anfang Juli 2017 im Rahmen einer vom Deutschen Übersetzerfonds und Litrix.de, dem Übersetzungsförderungsprogramm des Goethe-Instituts, geförderten zweisprachigen ViceVersa-Werkstatt für die Sprachkombination Deutsch-Arabisch statt. Sechs diskutierfreudige ÜbersetzerInnen – Ibrahim Abu Hashash (Palästina), Amira Amin (Ägypten), Nevine Fayek (Deutschland/Ägypten), Latifa El-Haddad (Deutschland/Marokko), Jessica Siepelmeyer (Deutschland), Kauthar Tabai (Deutschland/Tunesien) – mit je einem Projekt im Gepäck begegneten sich in München. Dazu kamen noch die beiden Workshop-Leiterinnen Leila Chammaa (Deutschland) und Hebatallah Fathy (Deutschland / Ägypten), die die kontroversen Debatten mit ihren ständigen Kommentaren und Fragen zusätzlich anheizten.

Die acht ÜbersetzerInnen residierten vier Tage lang im Literaturhaus der Stadt in traumhaften Verhältnissen. Rundum versorgt und damit von den lästigen, zeitfressenden Anforderungen des Alltags befreit, widmeten sich die SpracharbeiterInnen – ausnahmsweise in Gesellschaft, denn Übersetzer führen im regulären Leben ein Eremitendasein – ungebremst den Fragen, die ihnen Kopfzerbrechen bereiten.

Zum Auftakt eines jeden Werkstatttages wurde quasi zum Aufwärmen die Sitzung „Grundsätzliches am Morgen" abgehalten, in der übersetzerische Dauerbrenner wie „kontextgemäße Sprache", „zum Umgang mit Humor, Wortspielen & Co." und „Treue versus Freiheit" besprochen wurden. Nach dem theoretischen Einstieg ging es dann zur Sache: zur konkreten Textarbeit. Diese gestaltete sich überaus vielfältig und bunt, denn die mitgebrachten Arbeitsproben gehörten verschiedenen Genres an (Roman, Kurzgeschichte, Satire, Essay, Kinderbuch) und boten inhaltlich und stilistisch ein breites Spektrum an übersetzungstechnischen Herausforderungen.

Am Nachmittag wurde das Programm dann jeweils durch Impulse aus verschiedenen Bereichen des Literaturbetriebs abgerundet. Geladene Gäste boten Einblick in ihre Arbeit: Larissa Bender in die Freuden und Nöte einer Arabischübersetzerin, die Chinesisch-Übersetzerin Karin Betz in die Aktivitäten der Weltlesebühne. Stefan Weidner, Übersetzer und Publizist, sprach über die Vermittlung von arabischer Literatur an das deutsche Publikum. Und die Autorinnen Nemat Khaled und Ulla Lenze stellten sich allerlei Fragen zur Kooperation mit ihren Übersetzern und zu ihren Erfahrungen mit dem Übersetzt-Werden.

Von Sprachbegeisterung und dem Drang nach Austausch getrieben und mit gebührend viel Mut ausgerüstet, sich ins Manuskript schauen zu lassen und es der Kritik preiszugeben, redeten sich alle die Köpfe heiß und rissen die Beisitzenden Anne-Bitt Gerecke (Litrix.de, Berlin), Amira Elmasry (Litrix.de, Kairo) und Katrin Lange (Literaturhaus München) mit.

Einige der vielen mitgebrachten und neuentstandenen Fragen konnten geklärt werden. Aber fertig sind wir – wie zu erwarten war – längst nicht geworden. Deshalb ist die Freude auf die für Mai 2018 geplante arabisch-deutsch ViceVersa-Werkstatt II umso größer.

Leila Chammaa

Berlin, Januar 2018