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LITERARISCHES ÜBERSETZEN
Von der Freiheit des Übersetzers

Nabil Al Haffar
© Nabil Al Haffar

Nabil Alhaffar gilt als einer der renommierten und erfahrenen Übersetzer der Szene. 1974 begann er mit der Übersetzung von Theatertexten und hat seitdem zahlreiche Romane, Erzählungen und Märchen aus dem Deutschen ins Arabische übertragen. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet. Im Interview erzählt er über seine Arbeit und deren Herausforderungen und rät Nachwuchsübersetzern, sich immer vom Text zu lösen.

Lieber Herr Alhaffar, an welchem Titel sitzen Sie aktuell? Was reizt Sie an diesem Titel?

Zurzeit arbeite ich an „Der Prozess" von Franz Kafka. Das ist das dritte Werk von Kafka, das ich ins Arabische übersetze. Die Hauptwerke Kafkas sind mehrfach aus dem Englischen oder dem Deutschen ins Arabische übersetzt worden, aber Übersetzung, die den Werken sprachlich literarisch gerecht wird, gibt es bis jetzt leider noch nicht. Ich bemühe mich darum. Es gibt immer noch eine starke Nachfrage nach den Werken Kafkas im arabischen Sprachraum. Und es wurde sehr viel über sein Werk, pro und kontra, geschrieben. Es gab auch viele Missinterpretationen, die durch ungenaue oder schlechte Übersetzungen verursacht wurden. Daher kommt die Rechtfertigung des neuen Projektes.

Wie gehen Sie an eine Übersetzung heran? Und was liegt dabei auf Ihrem Schreibtisch?

Neben mir auf dem Schreibtisch habe ich ein Notizheft parat, wo ich meine Fragen zum Text hinein schreibe, also Vokabeln und Informationen, deren Bedeutungen ich nachsehen möchte, insbesondere in etymologischen Wörterbüchern oder in Google-Bildern. In der deutschen Sprache Kafkas gibt es nämlich viele veraltete Vokabeln, deren genaue Bedeutungen in den neuen Wörterbüchern nicht zu finden sind. Darin notiere ich auch meine Übersetzungen bestimmter Begriffe im Text, damit ich sie parat habe, falls sie im Text wieder vorkommen.

Ich arbeite systematisch, täglich acht Stunden, weil Übersetzen seit dreizehn Jahren mein Hauptberuf ist, also seit meiner Emeritierung von der Theaterhochschule in Damaskus. Vorher habe ich in meiner freien Zeit übersetzt.

Worin liegen besonderen Herausforderungen beim literarischen Übersetzen vom Deutschen ins Arabische?

Die besondere Herausforderung des literarischen Übersetzens ins Arabische hängt meines Erachtens in erster Linie mit dem Thema des Autors zusammen. „Das Parfum" von Patrick Süskind war zum Beispiel eine solche Herausforderung für mich. Die Welt der Gerüche war in der Übersetzung sehr schwer zu bewältigen, weil es an Fachwörterbüchern fehlt. Eine andere Seite dieser Herausforderung war die genaue Beschreibung des täglichen Lebens im Frankreich des 18. Jahrhunderts quer durch die sozialen Schichten.

Ein anderes Beispiel wäre „Cox oder Der Lauf der Zeit" von Christoph Ransmayr. In diesem Roman liegt die Herausforderung in dem hohen Sprachstil, der seine Entsprechung im Arabischen verlangt.

Was würden Sie Nachwuchsübersetzern besonders ans Herz legen?

Ich würde den Nachwuchsübersetzern sagen: Lesen Sie den deutschen Text genau und lesen Sie etwas über den Autor, die Autorin und seine beziehungsweise ihre Ausbildung, bevor Sie zu übersetzen beginnen. Jede Sprache hat ihre eigene Struktur und Besonderheiten. Aber die sind nicht heilig. Also bleiben Sie weg von der wörtlichen Übersetzung. Formulieren Sie den deutschen Satz um, bis Sie einen deutlichen arabischen Satz erreicht haben. Wenn Sie mit Ihrer Übersetzung fertig sind, lesen Sie sie genau durch, bevor Sie sie einreichen.

Welche Lesetrends Beobachten Sie in der arabischen Welt? Welche Bücher braucht der arabische Markt in Übersetzung?

In der arabischen Welt liest man viel über die politischen Erfahrungen der Staaten und Individuen, insbesondere Erinnerungen von Politikmachern und berühmten Persönlichkeiten. Damit hängen natürlich die Geschichtsbücher zusammen.

In den letzten zwanzig Jahren gibt es eine bemerkenswerte Nachfrage an wissenschaftlichen Büchern, insbesondere unter den Universitätsabsolventen. Trotzdem blieben die Auflagen der verschiedenen Fachliteratur gering. Der Preis von Büchern hat sich inzwischen verdoppelt, und über das Internet konnte man viele gedruckte Bücher mittlerweile leicht ersetzen.

Während des letzten Jahrzehnts hat der Roman auf dem Gebiet der Literatur den ersten Platz besetzt, an zweiter Stelle kommt die Kurzgeschichte. Sehr selten sagt ein Verlag ja zu einem Lyrikband oder einem Theaterstück. Die literaturtheoretischen Werke kommen sehr selten in Frage.

Welchen arabischen Titel würden Sie uns Europäern ans Herz legen?

In der letzten Zeit hatte ich kaum Möglichkeit arabische Bücher in der Hand zu haben, einerseits wegen des Krieges in Syrien, und auch wegen meiner Emigration. Daher bin ich leider nicht in der Lage eine Auswahl zu machen oder Titel für die Übersetzung vorzuschlagen. In den verschiedenen arabischen Zeitschriften im Netz lese ich viel über Neuerscheinungen, das reicht aber nicht aus, um ein Werturteil zu formulieren.


Nabil Alhaffar, Jahrgang 1945, studierte Germanistik in Leipzig und promovierte in Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrte an der Hochschule für Theater in Damaskus, deren Prorektor er später wurde. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel über das syrische, arabische und internationale Theater sowie zahlreiche Theaterkritiken. Außerdem war er als Redakteur für die syrischen Zeitschriften "Brücken", "Theaterleben" und "Internationale Literaturen" tätig. 1974 begann er mit der Übersetzung von Theaterstücken aus dem Deutschen ins Arabische, darunter u.a. Stücke von Bertold Brecht, Peter Weiss, Heinar Kipphardt und Stefan Heym. Mittlerweile ist er ausschließlich als literarischer Übersetzer tätig und hat u.a. Titel von Jenny Erpenbeck, Herta Müller, Ulrich Peltzer, Lukas Bärfuss, Robert Schneider und Felicitas Hoppe ins Arabische übertragen. Für seine Übersetzertätigkeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Übersetzerpreis der Brüder Grimm 1982, mit dem Übersetzerpreis des Goethe-Instituts 2010 und mit dem Staatspreis Syriens für Übersetzung und Theaterleistungen 2014.