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Bücherwelt
Politische Kinderliteratur

Wie war das in der DDR? Carlsen Verlag
© Carlsen Verlag

Am 9. Oktober kam "Fritzi. Eine Wendewundergeschichte" – basierend auf dem bereits 2009 erschienenen fast gleichnamigen Kinderbuch von Hanna Schott und Gerda Raidt – in die deutschen Kinos. Am 3. Dezember wurde im Haus der Geschichte in Bonn der diesjährige Gustav-Heinemann-Friedenspreis, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Kinder- und Jugendliteratur, verliehen. Preisträgerin ist Judith Burger, die für „Gertrude Grenzenlos“ ausgezeichnet wird. Ihr Werk ist eines von zahlreichen Kinder- und Jugendbüchern, die in den letzten Jahren und vermehrt nun zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erschienen sind. Inhaltlich stets differenziert, künstlerisch überzeugend und auf die jeweilige Altersgruppe zugeschnitten liegt jetzt ein bunter Reigen an empfehlenswerten Titeln vor.

Wie war das in der DDR? Carlsen Verlag © Carlsen Verlag

Bilderbücher

Mit dem Ballon in die Freiheit / Hübendrüben © Ravensburger Verlag / © Klett Kinderbuch Verlag

Torben Kuhlmann, international bekannt durch seine Bilderbücher "Lindbergh" (2014) und "Armstrong" (2016),  legt ein intensives, bildgewaltiges und auf einer wahren Geschichte beruhendes Bilderbuch vor. In "Mit dem Ballon in die Freiheit"(2019) lässt er junge Betrachter*innen hautnah miterleben, wie Peters Familie am 16. September 1979 den riskanten Weg in die ersehnte Freiheit auf sich nimmt – in einem selbstgebauten Heißluftballon, der heute im Heimatmuseum in Naila/Oberfranken zu sehen ist. "Da wir keine Verwandten im Osten Deutschlands hatten, war ich während meiner Kindheit nicht zu Besuch in der DDR", so der Hamburger Illustrator. "Als Teenager entwickelte ich dann aber ein großes Geschichtsinteresse und lernte etwas über den eisernen Vorhang, die politischen Systeme im Kalten Krieg und über die Deutsche Demokratische Republik“, erinnert sich der 1982 geborene Kuhlmann.
 
Horst Klein, ein im Westen aufgewachsener Illustrator, und Franziska Gehm, eine im Osten aufgewachsene Autorin, haben mit "Hübendrüben. Als deine Eltern noch klein und Deutschland noch zwei waren" (2018) ein echtes Gemeinschaftswerk vorgelegt. Das Sachbilderbuch begeistert sowohl von der Text- als auch von der Bildgestaltung her, auch weil beides grafisch eng miteinander verknüpft ist. Auf der linken Seite wird die Realität in der damaligen Bundesrepublik thematisiert und auf der rechten Seite dann sozusagen als Pendant dargestellt, wie das Leben in den frühen Achtzigerjahren in der DDR war. Max und Maja, Cousin und Cousine, erleben Familie, Schule, Freizeit und Ferien ganz unterschiedlich. "Dass ich in einem Land aufgewachsen bin, das es nicht mehr gibt, fanden meine Kinder immer spannend. So war es mir immer ein Anliegen, ihnen von meiner alten Heimat zu erzählen“, beschreibt die bereits seit vielen Jahren in München lebende Kinderbuchautorin ihre Motivation für dieses Buch.

Sachbuch

Wie war das in der DDR? Carlsen Verlag © Carlsen Verlag

Alexander von Knorre und Susan Schädlich vermitteln Grundschulkindern die Geschichte Deutschlands ebenfalls sehr anschaulich und gehen gemeinsam auf Spurensuche: "Wie war das in der DDR? Einblicke in die Zeit des geteilten Deutschlands" (2019) zeigt nach "Wenn Menschen flüchten" (2016) und "Woran Menschen glauben" (2017) informativ und in handlichem Format, was vor dem Mauerfall alles anders war als heute. So erfährt man, was es mit Timurdienst, Leckermäulchenquark und Rennpappe auf sich hat. „Manchmal scheint es fast unmöglich, die Perspektiven zusammenzubringen: wer im Westen war, hat den Osten nicht erlebt, wer im Osten war, hat den Westen allenfalls in Ausschnitten gesehen. Und trotzdem wollen so viele die Vergangenheit deuten“, so Schädlich, die als Kind die letzten Jahre der DDR, den Mauerfall und die Zeit danach unmittelbar erlebt hat.
 
Kinderbücher 

Alles nur aus Zuckersand © Carlsen Verlag © cbj Verlag © Gerstenberg Verlag

Dirk Kummer lässt in "Alles nur aus Zuckersand" (2019) in gewisser Weise auch seine eigene Kindheitsgeschichte Revue passieren. Interessant hierbei ist der Entstehungsprozess dieses multimedialen Erzählprojekts: 2001 lag bereits das Drehbuch vor, 2016 wurde der ausgezeichnete Spielfilm gedreht und drei Jahre später erschienen dann das Kinderbuch und ein von dem ebenfalls aus der DDR stammenden Schauspieler Charly Hübner eingelesenes Hörbuch. "Mir war es wichtig, über den Alltag der Kinder in der DDR zu erzählen. Mit dem Fall der Mauer wurden viele Details oder Gewohnheiten unseres damaligen Lebens vergessen oder unter dem Sand verschüttet“, so Kummer. Die Freundschaft von Fred, dem Ich-Erzähler in "Alles nur aus Zuckersand", und seinem besten Freund Jonas wird vor eine Zerreißprobe gestellt, als der Ausreiseantrag von Jonas Mutter bewilligt wird und für die beiden fortan nichts mehr so ist wie vorher.
 
Auch in "Das Mauerschweinchen – Noras Geschichte/Arons Geschichte" (2019) gelingt es der Autorin Katja Ludwig, die Kinder in die Welt des geteilten Berlin mitzunehmen. Das "Wendebuch" mit Doppelcover und Palindrom (die Vornamen der beiden Kinder) – erzählt die Geschichte eines fliegenden Meerschweinchens aus der Sicht zweier Kinder. Beide wohnen in der Wolliner Straße, einmal in West- und einmal in Ostberlin. "Als Kind fand ich die Existenz von zwei völlig unterschiedlichen Welten unmittelbar nebeneinander – getrennt nur durch ein paar Meter Mauerstreifen – total faszinierend, und um das für heutige Kinder nachfühlbarer zu machen, mussten sie getrennt bleiben", so Ludwig.
 
Einen anderen Plot hat sich Judith Burger für ihr Debüt ausgedacht. In "Gertude Grenzenlos" (2018) erzählt sie intensiv die Geschichte von dem Mädchen Gertrude, das neu in Inas Klasse kommt und Westklamotten trägt  – und das auch sonst eine Außenseiterin ist, weil ihre Eltern einen Ausreiseantrag gestellt haben. Trotzdem nähern sich die beiden Mädchen einander an und werden gegen alle Widerstände Freundinnen: "Ich will, dass zwei unterschiedliche Mädchen aus zwei so unterschiedlichen Familien Freundinnen sein dürfen, ohne dass jemand etwas dagegen hat. Das muss doch möglich sein!", fordert Ina kämpferisch. Die Antwort auf die Frage, inwieweit ihr Buch friedensstiftend sei, musste Burger erst sorgfältig suchen. "Ja, Lesen kann das Denken verändern, das Reden und so vielleicht irgendwann auch das Handeln. In andere Köpfe reinzuschauen macht auch etwas mit dem eigenen Kopf. Deswegen schreibe ich so gerne aus der Ich-Perspektive“, so die verdiente Preisträgerin.
 
Der hier vorgestellte Bücherreigen informiert und unterhält je nach Altersstufe auf ganz unterschiedliche Weise – und  macht ganz sicher im Sinne Judith Burgers etwas mit den Köpfen der Lesenden!  

 
Antje Ehmann arbeitet als freie Journalistin, Jurorin und Referentin im Bereich Kinder- und Jugendliteratur.