Bücherwelt
Politische Kinderliteratur

Am 9. Oktober kam "Fritzi. Eine Wendewundergeschichte" – basierend auf dem bereits 2009 erschienenen fast gleichnamigen Kinderbuch von Hanna Schott und Gerda Raidt – in die deutschen Kinos. Am 3. Dezember wurde im Haus der Geschichte in Bonn der diesjährige Gustav-Heinemann-Friedenspreis, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Kinder- und Jugendliteratur, verliehen. Preisträgerin ist Judith Burger, die für „Gertrude Grenzenlos“ ausgezeichnet wird. Ihr Werk ist eines von zahlreichen Kinder- und Jugendbüchern, die in den letzten Jahren und vermehrt nun zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erschienen sind. Inhaltlich stets differenziert, künstlerisch überzeugend und auf die jeweilige Altersgruppe zugeschnitten liegt jetzt ein bunter Reigen an empfehlenswerten Titeln vor.
Bilderbücher
Horst Klein, ein im Westen aufgewachsener Illustrator, und Franziska Gehm, eine im Osten aufgewachsene Autorin, haben mit "Hübendrüben. Als deine Eltern noch klein und Deutschland noch zwei waren" (2018) ein echtes Gemeinschaftswerk vorgelegt. Das Sachbilderbuch begeistert sowohl von der Text- als auch von der Bildgestaltung her, auch weil beides grafisch eng miteinander verknüpft ist. Auf der linken Seite wird die Realität in der damaligen Bundesrepublik thematisiert und auf der rechten Seite dann sozusagen als Pendant dargestellt, wie das Leben in den frühen Achtzigerjahren in der DDR war. Max und Maja, Cousin und Cousine, erleben Familie, Schule, Freizeit und Ferien ganz unterschiedlich. "Dass ich in einem Land aufgewachsen bin, das es nicht mehr gibt, fanden meine Kinder immer spannend. So war es mir immer ein Anliegen, ihnen von meiner alten Heimat zu erzählen“, beschreibt die bereits seit vielen Jahren in München lebende Kinderbuchautorin ihre Motivation für dieses Buch.
Sachbuch
Kinderbücher
Auch in "Das Mauerschweinchen – Noras Geschichte/Arons Geschichte" (2019) gelingt es der Autorin Katja Ludwig, die Kinder in die Welt des geteilten Berlin mitzunehmen. Das "Wendebuch" mit Doppelcover und Palindrom (die Vornamen der beiden Kinder) – erzählt die Geschichte eines fliegenden Meerschweinchens aus der Sicht zweier Kinder. Beide wohnen in der Wolliner Straße, einmal in West- und einmal in Ostberlin. "Als Kind fand ich die Existenz von zwei völlig unterschiedlichen Welten unmittelbar nebeneinander – getrennt nur durch ein paar Meter Mauerstreifen – total faszinierend, und um das für heutige Kinder nachfühlbarer zu machen, mussten sie getrennt bleiben", so Ludwig.
Einen anderen Plot hat sich Judith Burger für ihr Debüt ausgedacht. In "Gertude Grenzenlos" (2018) erzählt sie intensiv die Geschichte von dem Mädchen Gertrude, das neu in Inas Klasse kommt und Westklamotten trägt – und das auch sonst eine Außenseiterin ist, weil ihre Eltern einen Ausreiseantrag gestellt haben. Trotzdem nähern sich die beiden Mädchen einander an und werden gegen alle Widerstände Freundinnen: "Ich will, dass zwei unterschiedliche Mädchen aus zwei so unterschiedlichen Familien Freundinnen sein dürfen, ohne dass jemand etwas dagegen hat. Das muss doch möglich sein!", fordert Ina kämpferisch. Die Antwort auf die Frage, inwieweit ihr Buch friedensstiftend sei, musste Burger erst sorgfältig suchen. "Ja, Lesen kann das Denken verändern, das Reden und so vielleicht irgendwann auch das Handeln. In andere Köpfe reinzuschauen macht auch etwas mit dem eigenen Kopf. Deswegen schreibe ich so gerne aus der Ich-Perspektive“, so die verdiente Preisträgerin.
Der hier vorgestellte Bücherreigen informiert und unterhält je nach Altersstufe auf ganz unterschiedliche Weise – und macht ganz sicher im Sinne Judith Burgers etwas mit den Köpfen der Lesenden!
Antje Ehmann arbeitet als freie Journalistin, Jurorin und Referentin im Bereich Kinder- und Jugendliteratur.