Schnelleinstieg: Zum Inhalt springenZur Hauptnavigation springenZur Sprachnavigation springen

Der Traum von der Freiheit

Martin Baltscheit hat sich als Schauspieler, Comiczeichner und Autor in die Kinderherzen hinein gebeamt. Er „kann" alles, von lustig und fröhlich bis zu nachdenklich und ernst und erreicht Kinder nicht nur in Deutschland, sondern – in Übersetzungen - überall auf der Welt.

„Krähe und Bär" heißt sein neues Kinderbuch. Die beiden Tiere sind „Fressfeinde" und könnten unterschiedlicher nicht sein: Die komische Kleine und der gemütliche Große, das freche Federvieh und der zahme Zottel. Sie ist neugierig, witzig, geschwätzig und sucht einen Freund. Er will nichts als seine Ruhe. Sie lebt in Freiheit, hoch oben fliegend, auch abstürzend, immer auf der Suche nach Futter. Und er im Zoo, hinter Gittern und Mauer, satt, sicher und gelangweilt. Sie leben in zwei Welten.

Trotzdem freunden sie sich langsam an. Und weil jeder das Leben des Anderen toll findet, beschließen sie, mit Hilfe eines Zaubertranks ihre Identität zu tauschen. Der Bär fliegt in die Freiheit, die Krähe bleibt hinter Gittern in Sicherheit. Doch es dauert nicht lange, bis beide feststellen, dass das frühere Leben das bessere war. Im letzten Augenblick gelingt es ihnen, wieder sie selbst zu werden – und allerbeste Freunde zu bleiben.

So weit, so erwartbar. Doch diese auf den ersten Blick schlicht wirkende Freundschafts-Geschichte ist hintergründiger, als man denkt. Da sind zuerst einmal die schlagfertig-schalkhaften Dialoge, die wie Ping-Pong-Bälle hin- und her spritzen. Sie sind so frisch und frech, schlau und charmant, dass Sechsjährige sich alle Mühe geben müssen, um Schritt zu halten. Dazu kommt, dass die beiden Streithähne kein Blatt vor den Mund nehmen und sich mit Begeisterung beschimpfen. Die ausdrucksstarken Bilder von Wiebke Rauers setzen Mimik und Gestik der beiden Kontrahenten witzig in Szene und sind noch einmal zusätzliche Muntermacher.

Lassen Krähe und Bär dann doch mal den Erzähler zu Wort kommen, schlägt der gerne einen augenzwinkernd-ernsten Ton an. Erklärend oder auch in poetischen Bildern setzt er ein sprachliches Gegengewicht. Und bald wird klar, dass es hier nicht nur um kindliche Streitereien und Freundschaft geht, sondern um mehr: Um die Erkenntnis zum Beispiel, dass Gelassenheit in allen Lebenslagen hilfreich ist, dass zu viel Gemütlichkeit aber auch jede neue Erfahrung verhindert. Oder dass hinfallen – im übertragenen Sinn – notwendig und erlaubt ist, aber „liegen bleiben nicht." Und schließlich, dass gutes Benehmen nur etwas für satte Tiere ist. „Für hungrige Teufel […] ist Benehmen Zeitverschwendung." Da sind wir dann nicht nur bei Brecht angelangt, sondern schon fast in der internationalen Politik. Die kleine Arme und der große Reiche – es gibt sie auf der ganzen Welt. Irgendwann wird der Bär sogar philosophisch und stellt fest: „Da ist kein Frieden ohne Freiheit".

„Krähe und Bär" ist ein Kinderbuch voller Charme und Esprit. Es erzählt, wie aus Feinden Freunde werden, und das ist unter Tieren genau so spannend wie unter Menschen. In der Familie, in der Schule, im Job oder zwischen verschiedenen Ländern und Religionen. Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden – dieser Satz steht zwischen den Zeilen, er gilt in Ost und West, Nord und Süd. Das bedeutet, dass Toleranz und Interesse aneinander die wichtigsten Grundlagen für eine funktionierende Freundschaft und Gesellschaft sind.

Ein kleines Buch mit großem Anspruch!
Buchcover Krähe und Bär

Von Sylvia Schwab

​Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.