Karen Duve Fräulein Nettes kurzer Sommer
- Galiani Berlin Verlag
- Berlin 2018
- ISBN 978-3-86971-138-6
- 592 Seiten
- Verlagskontakt
Die betrogene Rebellin
In einer fast 600 Seiten starken, doch überaus kurzweiligen Mischung aus Historien-Epos, Künstlerroman, Familiensaga und Sittengemälde beleuchtet Karen Duve nicht nur einen, sondern drei Sommer in der Biografie der Droste, im Freundeskreis „Fräulein Nette“ genannt. Der Titel bezeichnet im metaphorischen Sinn den kurzen Sommer ihres Frauenlebens, der schon endete, als sie Anfang zwanzig war. Denn im Fokus steht hier nicht die Heranbildung des genial begabten westfälischen Freifräuleins zur Dichterin und Komponistin (die sie auch war), sondern das, was sie selbst ihre „Jugendkatastrophe“ nannte: ein infames Komplott, mit dem eine missgünstig-misogyne Gesellschaft diese rebellische, unkonventionelle junge Dame in ihre Schranken weisen wollte und das sich dann tiefgreifend auf ihren Lebensgang auswirkte.
Jahrelange Recherchen, kühne Einfühlung und nicht zuletzt feministische Solidarität bilden die Grundlage für Duves Fall-Rekonstruktion, die sie einbettet in ein scharf gezeichnetes, oft boshaft amüsantes Figuren-Panorama. Im Zentrum Fräulein Nette, stets kränkelnd und äußerlich wenig anziehend, dafür extrem klug, gebildet, temperamentvoll und schlagfertig, deshalb von manchen als „Nervensäge“ empfunden. Um sie herum die weitverzweigte Verwandtschaft, die Freunde und Bekannten in den westfälischen Adelshäusern, ferner die Intellektuellen und Schriftsteller ihrer Zeit, von den Brüdern Grimm bis Schopenhauer, von Hegel bis zum jungen Heine. Und schließlich die Göttinger Studenten in ihrem genialischen oder nationalistischen Furor, in deren Kreisen „Fräulein Nette“ lebhaft mitdiskutierte und auch jenen beiden Herren begegnete, die im Auftrag des intriganten Onkels ihre zart keimenden Gefühle dazu missbrauchten, sie nachhaltig bloßzustellen. Was damals einer Verurteilung zum Single-Dasein gleichkam. Statt sich aber in die Opferrolle zu fügen, schuf Annette von Droste-Hülshoff ein Werk, das ihr einen Platz in der Literaturgeschichte sicherte.
Für all dies hat Karen Duve eine leichtgängige, weder altertümelnde noch gewaltsam modernisierende Sprache gefunden, die auch in den Dialogen stimmig bleibt, in schöner Balance zwischen Empathie und Ironie. Dass hier nicht die dichterische Arbeit der Droste im Vordergrund steht, sondern ihre Lebenswelt und ihr persönliches Schicksal, lässt das Buch für eine Übersetzung umso geeigneter erscheinen, weil eventuelle sprachliche Vermittlungsprobleme über die Distanz zweier Jahrhunderte sich dadurch erübrigen.
Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Karen Duves so lakonischer wie gnadenlos sezierender Roman über die junge Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und die Welt der letzten Romantiker, die deutsche Märchen sammelten, während die gute alte Ordnung um sie herum zerfiel. Das Porträt einer jungen Frau in einer Welt, in der nichts so blieb, wie es war.
Fräulein Nette ist eine Nervensäge! Dreiundzwanzig Jahre alt, heftig, störrisch und vorlaut, ist sie das schwarze Schaf, das nicht in die Herde ihrer adligen Verwandten passen will. Während ihre Tanten und Cousinen brav am Kamin sitzen und sticken, zieht sie mit einem Berghammer bewaffnet in die Mergelgruben, um nach Mineralien zu stöbern. Die Säume ihrer Kleider sind im Grunde immer verschmutzt! Das Schlimmste aber ist ihre scharfe Zunge. Wenn die Künstlerfreunde ihres Onkels August nach Bökerhof kommen, über Kunst und Politik sprechen, mischt sie sich ungefragt ein. Wilhelm Grimm bekommt bereits Panik, wenn er sie nur sieht.
Ein Enfant terrible ist sie, wohl aber nicht für alle. Heinrich Straube, genialischer Mittelpunkt der Göttinger Poetengilde, fühlt sich jedenfalls sehr hingezogen zu der Nichte seines besten Freundes. Seine Annäherungsversuche im Treibhaus der Familie bleiben durchaus nicht unerwidert. Allerdings ist er nicht der einzige. Was folgt ist eine Liebeskatastrophe mit familiärem Flächenbrand.
Historisch genau, gnadenlos entlarvend und so trocken-lakonisch und bitter-ironisch geschrieben, wie es nur Karen Duve kann.
© Galiani Verlag 2018
(Text: Galiani Berlin Verlag)