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Die Angst vor dem Fremden

Manches Geheimnis ist gar keines, wenn man nur genau genug hinschaut. So kann es einem mit Jutta Brückers Bilderbuch „Zorilla“ gehen, das die Essenz seiner Geschichte schon auf dem Cover erzählt. Zunächst fällt jedoch das unerhörte Rot auf, in das der Buchumschlag getaucht ist. Gefährlich. Ein schwarzes Pelztier steht da an der Ecke einer Passage, schaut sich um und wir sehen die Tiere, kleine und große, die sich in einem Torbogen vor dem Fremden verstecken. Offenbar beschatten sie ihn. Die Bewohner der Straße folgen ihm misstrauisch mit ihren Blicken, selbst die offenen Fensterläden der Häuser wirken wie Augen, die ihn beobachten, während oben am Himmel der Mond unerbittlich über die Szene wacht. Die Augen erzählen in Jutta Bückers Bilderbuch so beredt von inneren Vorgängen, dass man genau erkennen kann, wie die Tiere auf das kommende Geschehen lauern. Handelt es sich hier noch um eine Straßenszene im Halbdunkel, so weicht die Bedrohung auch im Neonlicht der Altstadt nicht von der Fährte des „Zorilla“, eines Marders mit hochgeschlagenem Mantelkragen.
 
2004 gelang Jutta Bücker mit dem knuddeligen Schweineduo „Rosalie und Trüffel“ ein Verkaufsschlager, ihr aktuelles Bilderbuch ist da aus ganz anderem Holz geschnitzt. Schon im Namen des Titelhelden „Zorilla“, einer afrikanischen Marderart, stecken Verweise auf Zorro und Gorillas. Wie in einem Kriminalfilm entwirft Jutta Bücker ihre Geschichte vor Hamburgs Stadtkulisse. Die Lichter des Jahrmarkts leuchten in der Nacht. Das Zirkuspferd sitzt in seiner pinkfarbenen Stola auf dem Barhocker im Gespräch mit dem Walross, das hier seinen Polizeidienst versieht. Jutta Bücker lebt in Hamburg, sie kennt die Topographie der Stadt und nutzt sie effektvoll. Die Geschichte gewinnt zusätzlich an Dichte und Überzeugungskraft, weil das Setting so viel Atmosphäre besitzt. Nicht nur auf die Tiere wirkt der Marder fremd und bedrohlich. Ein Gefühl, das subtil geschürt wird, da auch wir nur das Weiß seiner Augen aus dem Schwarz seiner Gestalt aufblitzen sehen. Doch Jutta Bücker wechselt die Perspektiven. Erscheint uns der Fremde undurchsichtig, so erleben wir im nächsten Moment, wie sich die Bewohner der Stadt zu einer Meute zusammenschließen. Auch von ihnen geht etwas Bedrohliches aus.
 
Der Fremde wird zur Projektionsfläche für die eigenen Ängste. So mutmaßen die Ratten, dass er vorhaben könnte, sie im Hafenbecken zu versenken. Geheimnisvolle Geräusche, sind aus der Werkstatt des Marders zu vernehmen. Wir sehen die ängstlichen Mäuse und das ratlose kleine Schwein, die Atmosphäre ist zum Zerreißen gespannt. Aufgeladen wird sie mit Bildern, die Aktionen im Vordergrund zeigen und sich dann in die Ferne hin öffnen. Diese Tiefe verleiht der Geschichte eine bedeutsame Dimension. Zugleich arbeitet Jutta Bücker mit hysterisch grellen Farben, das aggressive Gelb, ein beunruhigendes Pink, ein aufdringliches Grün, die Atmosphäre ist unübersehbar vergiftet, bevor sie dann plötzlich umschlägt.
 
Der Marder ist natürlich kein Monster, er hat sich in seiner Werkstatt ein eigenes Schiff in einer großen Flasche gebaut, die er des Nachts unbemerkt ins Wasser hat gleiten lassen, um sich auf den Weg in seine Heimat Afrika zu machen. Und dieses Schiff in der Flasche hätte man auch schon auf dem Buchumschlag erkennen können. Nun wirkt der Zorilla auf einmal klein und gar nicht mehr gefährlich. „Hätten sie nur einmal den Zorilla gefragt...“ heißt es zu Beginn des zweiten Teils, der uns die „wahre Geschichte“ des Marders und seines Heimwehs erzählt. Einen klugen Kopf mit viel Erfindungsgeist haben die Tiere da verloren. Subtil in der Darstellung von Figuren, Gesten und Kulisse führt uns Jutta Bücker das fatale Ergebnis von Fremdenfeindlichkeit vor Augen.  
Buchcover Zorilla

Von Thomas Linden

​Thomas Linden arbeitet als Journalist (Kölnische Rundschau, WWW.CHOICES.DE) in den Bereichen Literatur, Theater und Film und konzipiert als Kurator Ausstellungen zur Fotografie und zur Bilderbuchillustration.