Jutta Bücker Zorilla
- Kunstanstifter Verlag
- Mannheim 2019
- ISBN 978-3-94279-571-6
- 36 Seiten
- Verlagskontakt
Die Angst vor dem Fremden
2004 gelang Jutta Bücker mit dem knuddeligen Schweineduo „Rosalie und Trüffel“ ein Verkaufsschlager, ihr aktuelles Bilderbuch ist da aus ganz anderem Holz geschnitzt. Schon im Namen des Titelhelden „Zorilla“, einer afrikanischen Marderart, stecken Verweise auf Zorro und Gorillas. Wie in einem Kriminalfilm entwirft Jutta Bücker ihre Geschichte vor Hamburgs Stadtkulisse. Die Lichter des Jahrmarkts leuchten in der Nacht. Das Zirkuspferd sitzt in seiner pinkfarbenen Stola auf dem Barhocker im Gespräch mit dem Walross, das hier seinen Polizeidienst versieht. Jutta Bücker lebt in Hamburg, sie kennt die Topographie der Stadt und nutzt sie effektvoll. Die Geschichte gewinnt zusätzlich an Dichte und Überzeugungskraft, weil das Setting so viel Atmosphäre besitzt. Nicht nur auf die Tiere wirkt der Marder fremd und bedrohlich. Ein Gefühl, das subtil geschürt wird, da auch wir nur das Weiß seiner Augen aus dem Schwarz seiner Gestalt aufblitzen sehen. Doch Jutta Bücker wechselt die Perspektiven. Erscheint uns der Fremde undurchsichtig, so erleben wir im nächsten Moment, wie sich die Bewohner der Stadt zu einer Meute zusammenschließen. Auch von ihnen geht etwas Bedrohliches aus.
Der Fremde wird zur Projektionsfläche für die eigenen Ängste. So mutmaßen die Ratten, dass er vorhaben könnte, sie im Hafenbecken zu versenken. Geheimnisvolle Geräusche, sind aus der Werkstatt des Marders zu vernehmen. Wir sehen die ängstlichen Mäuse und das ratlose kleine Schwein, die Atmosphäre ist zum Zerreißen gespannt. Aufgeladen wird sie mit Bildern, die Aktionen im Vordergrund zeigen und sich dann in die Ferne hin öffnen. Diese Tiefe verleiht der Geschichte eine bedeutsame Dimension. Zugleich arbeitet Jutta Bücker mit hysterisch grellen Farben, das aggressive Gelb, ein beunruhigendes Pink, ein aufdringliches Grün, die Atmosphäre ist unübersehbar vergiftet, bevor sie dann plötzlich umschlägt.
Der Marder ist natürlich kein Monster, er hat sich in seiner Werkstatt ein eigenes Schiff in einer großen Flasche gebaut, die er des Nachts unbemerkt ins Wasser hat gleiten lassen, um sich auf den Weg in seine Heimat Afrika zu machen. Und dieses Schiff in der Flasche hätte man auch schon auf dem Buchumschlag erkennen können. Nun wirkt der Zorilla auf einmal klein und gar nicht mehr gefährlich. „Hätten sie nur einmal den Zorilla gefragt...“ heißt es zu Beginn des zweiten Teils, der uns die „wahre Geschichte“ des Marders und seines Heimwehs erzählt. Einen klugen Kopf mit viel Erfindungsgeist haben die Tiere da verloren. Subtil in der Darstellung von Figuren, Gesten und Kulisse führt uns Jutta Bücker das fatale Ergebnis von Fremdenfeindlichkeit vor Augen.
Von Thomas Linden
Thomas Linden arbeitet als Journalist (Kölnische Rundschau, WWW.CHOICES.DE) in den Bereichen Literatur, Theater und Film und konzipiert als Kurator Ausstellungen zur Fotografie und zur Bilderbuchillustration.
Inhaltsangabe des Verlags
Die Nachbarschaft am Hafen ist besorgt: Seit kurzem lebt ein Zorillamarder in ihrer Stadt. Niemand weiß, woher er kommt und was er eigentlich hier will. Was hat er vor? Es werden hinter seinem Rücken immer wildere Fantasien entwickelt, bis die aufgebrachte Meute eines Tages zu seiner Behausung zieht – und eine Überraschung erlebt!
Den ersten Entwurf der Erzählung vom Marder, der allein mit seiner ungewohnten Erscheinung und zurückgezogenen Lebensweise schlimmste Verdächtigungen hervorruft, fertigte Jutta Bücker bereits vor über zehn Jahren an. Sie will nicht verurteilen oder belehren, sondern dazu einladen, sich seinen Ängsten nicht hinzugeben und sich stattdessen einem Dialog mit dem vermeintlich Fremdem zu öffnen.
Eine zeitlos wichtige Bildergeschichte, die Mut machen soll, sich unbefangen und neugierig aufeinander einzulassen.
(Text: Kunstanstifter Verlag)