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Buchcover Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft

Patrick SpätBea Davies
Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft

Tippelbruder und Anarchist

Selbst wenn der Buchtitel es vermuten lässt: dies ist keine Biografie von Robin Hood. Sein Protagonist entspricht auch nicht dem Typus des strahlend-mythischen Helden, wie ihn einst Hollywoodstar Errol Flynn exemplarisch in buntem Technicolor verkörperte. Gregor Gog, der Titelheld dieser Graphic Novel, hat wirklich gelebt, sein leicht zerfurcht gezeichnetes Gesicht mit dem zurückgekämmten Haarschopf und dem feinen Schnurrbart zeugt jedoch von nicht weniger kühner Entschlossenheit. Tatsächlich galt er in den 1920er Jahren als „König der Vagabunden“, nachdem er als Gründer der „Bruderschaft der Vagabunden“ deutschlandweit bekannt wurde.
 
Eine biografische Graphic Novel hat sich nun erstmals der historischen Figur Gregor Gog (1891-1945) angenommen, um an dessen Leben und Wirken eindringlich zu erinnern. Nachdem der in Preußen geborene junge Gog erste „vagabundierende“ Lebenserfahrungen als einfacher Matrose auf den Weltmeeren sammelte und ab 1914 widerwillig als Wehrpflichtiger am 1. Weltkrieg teilnahm, beteiligte er sich 1918 am Kieler Matrosenaufstand. Nach dem Krieg wurde er, angeregt durch anarchistische Literatur und politisch Gleichgesinnte, Vagabund aus Überzeugung.
 
Zusammen mit anderen Anarchisten gründete Gog in Urach nahe Stuttgart die „Kommune am Grünen Weg“, die ein Zentrum für Freidenker, Schriftsteller und Künstler aller Art wurde: Theodor Plievier, Johannes R. Becher, Erich Mühsam und Gusto Gräser gehörten dazu. Höhepunkte von Gogs Wirken waren neben politischen Schriften, die sich für die Rechte der Obdachlosen einsetzten, die Gründungen der „Bruderschaft der Vagabunden“ 1927 und des „1. Internationalen Vagabundenkongresses“ 1929 sowie die Leitung der ersten Straßenzeitung Europas „Der Kunde“.
 
Der 1982 geborene Autor Patrick Spät hat für sein Szenario Gogs reiche Lebensgeschichte genauestens recherchiert und ein profundes Nachwort voller weiterer interessanter Details verfasst. Als Rahmen wählt Spät eine Episode im Winter 1933/34, als Gog vor den Nationalsozialisten aus einem Konzentrationslager in die Schweiz flüchtet. Die späten, tragisch verlaufenden Jahre Gogs klammert die Graphic Novel aus, um sich auf dessen Entwicklung in jungen Jahren und den Höhepunkt seines Wirkens in den 1920er Jahren zu konzentrieren. Gog erscheint als redegewandter, die Sache der Obdachlosen vertretender Wortführer des Uracher Kreises. Um 1930 fühlte er sich zunehmend vom Sowjet-Kommunismus angezogen, dessen Schattenseiten er aber nicht sehen wollte.
 
Die 1990 geborene Illustratorin und Zeichnerin Bea Davies, die bereits mit einigen Comics in der Berliner Independent-Szene auf sich aufmerksam machte – darunter auch eine Serie über Berliner Obdachlose von heute -, hat die eindrucksvollen schwarzweißen Bilder für diese Comicbiografie geschaffen. Ihre stimmungsvollen, von starken Kontrasten dominierten Tuschezeichnungen erinnern an expressionistische Druckgrafiken und fangen die Epochen des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik überzeugend ein. Insbesondere Gogs Willensstärke wird in ihren ausdrucksvollen Figurenzeichnungen deutlich. So gelingt es dem Team Davies / Spät, die damals viel Aufsehen erregende Vagabunden-Bewegung heutigen Lesern nahezubringen. Obendrein erschaffen sie ein berührendes Porträt ihres charismatischen Anführers.
Buchcover Der König der Vagabunden. Gregor Gog und seine Bruderschaft

Von Ralph Trommer

Ralph Trommer, Dipl. Animator, freier Autor und Künstler, schreibt für verschiedene Medien regelmäßig Rezensionen und Fachartikel über Comics, Graphic Novels und Filme.