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Buchcover Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation

Meike Stoverock Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation

Übersetzungsförderung
Mit Förderung von Litrix.de auf Italienisch erschienen

Von der Natur lernen. Wie Frauen ihren Königspinguin finden können

„Einen Satz zu sagen, der mit ‚Männer/Frauen sind’ beginnt, ist ein bisschen so, wie mit zwei brennenden Schwertern zu jonglieren, während man mit verbundenen Augen auf einem Einrad über ein Hochseil fährt, unter dem das Sicherheitsnetz fehlt, weil der Zirkusdirektor es in die Reinigung gegeben hat, der Depp.“

Was für eine Ouvertüre! Zumal zu einem Sachbuch, vor dem die Autorin in der Einleitung ausdrücklich warnt. „Dieses Buch“, schreibt sie, „besteht praktisch nur aus Reizwörtern und zwar völlig unabhängig davon, welchem Geschlecht und politischen Lager Sie angehören“. Denn tatsächlich geht es der Biologin und Bloggerin Meike Stoverock in „Female Choice“ um nichts weniger als ums Ganze. Die Weltordnung sei seit Anbeginn der Zivilisation eine androzentrische (von griechisch andrós für Mann) gewesen – das heißt, nach Maß und Bedürfnis von Männern gestaltet. Sie habe ihre Fundamente so tief in den kulturellen Acker geschlagen, dass man diese heute nicht freilegen könne, ohne den gesellschaftlichen Rohbau zum Einsturz zu bringen.

Es ist uns zur zweiten Natur geworden, die Welt nach männlichen Ideen von Besitz, Status und Leistung zu strukturieren und ihre Wirtschaft gemäß der Logik von Hierarchisierungen am Laufen zu halten. Davon mal abgesehen dürfte wohl den meisten Frauen nicht klar sein, dass das Durchschnittsgewicht von Crashtest-Dummys oder die Normhöhe von Schränken dem männlichen Körper angepasst ist. Frauen wiederum passen sich dieser Norm an und steigen zur Not auf den Hocker. „Unsere Zivilisation ist so entstanden, weil eine Sorte Mensch ihre Probleme lösen musste. Eine Sorte. Ihre Probleme. Unsere Zivilisation ist männlich. Das macht sie nicht automatisch schlecht, aber die einseitige Färbung muss uns endlich bewusst werden.“

Das kann man Ernst nehmen oder nicht. Inzwischen wird jedoch in vielen gesellschaftlichen Kontexten deutlich, dass wir vor einer Zeitenwende stehen: „In den vorigen Jahren wurden global wie lokal die progressiven Positionen eher von Frauen vertreten, während Männer den größeren Anteil bei den konservativen und reaktionären Positionen einnahmen. Fridays For Future verbindet man mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer, #MeToo begann mit den Berichten von Frauen, und der sogenannte intersektionale Feminismus setzt sich nicht für Frauen als einheitliche Gruppe ein, sondern auch für Minderheiten, die lange in Diskursen vernachlässigt wurden. Es sind dagegen mehrheitlich Männer, die Kohlekraft und Verbrennungsmotoren unterstützen, gegen Feminismus, Vegetarismus und die Aufnahme von Flüchtlingen sind. Das Erstarken rechter Kräfte geht vor allem auf Männer zurück, etwa durch die Wahl von Donald Trump, Jair Bolsonaro oder der AfD.“

Was also ist zu tun? Wie kann dem androzentrischen Kampf um die Weltführung zulasten der Umwelt, des Sozialen und des Weltfriedens Einhalt geboten werden? Meike Stoverock hat eine im feministischen Diskurs der Gegenwart ebenso originelle wie schlagende Idee: „Female Choice“ ist nicht nur der griffige Titel ihres Buchs. Female Choice ist auch der Name eines Prinzips, das Evolutionsbiolog*innen in der Welt der Tiere beobachten. Vereinfacht gesagt, bedeutet es, dass die Männchen einer Population ziemlich großen Aufwand betreiben müssen, um die wählerischen Weibchen von ihrer Tauglichkeit zu überzeugen.

In der Natur wird ein Weibchen in der Regel von sehr vielen Männchen bezirzt durch Pfauenräder, Balzgeräusche oder das Ausschütten von Sexualduftstoffen. Die Weibchen sind dabei auf der Suche nach der größtmöglichen Qualität für ihren Nachwuchs. Die Männchen sind allzeit paarungsbereit, weil ihnen die Natur die breite Streuung als Überlebensprinzip der Gattung mit in den Gencode geschrieben hat. Darwin nannte dieses evolutionäre Prinzip „sexuelle Selektion“. Die Weibchen regulieren damit den Zugang der Männchen zu Sex. Ein evolutionsbiologisch betrachtet extrem sinnvolles und erfolgreiches Prinzip, das vor der Sesshaftigkeit unserer Spezies, wohl auch im Menschenreich Anwendung fand. Das gefiel allerdings nicht allen menschlichen Männchen, denn „eines der wichtigsten Merkmale der Female Choice ist, dass die Mehrheit der Männchen keine oder nur sehr selten Partnerinnen finden“.

So erzählt Meike Stoverock in rasanten Schritten eine Geschichte der menschlichen Zivilisation, die mit dem Ende des Nomadentums einsetzt, als eine Geschichte der Bändigung männlicher Sexualfrustration. Und wie wurde diese Frustration gebändigt? Durch die Domestizierung der Frau. Durch ihre Verbannung in die Sphäre des Hauses. Durch ihre Abhängigkeit von einem männlichen Wirtschaftskreislauf. Anders gesagt: „Damit sich das ungünstige Zahlenverhältnis der Female Choice nachhaltig verbessert, müssen Frauen dazu gebracht werden, auch mit den weniger attraktiven Nicht-Premiummännern regelmäßig Sex zu haben, Kinder zu zeugen und auch jenseits der natürlichen Sollbruchstelle von drei bis vier Jahren bei ihnen zu bleiben.“

Soweit, so klar. Doch Stoverocks Buch liefert weit mehr als einen auf Hierarchien beruhenden kulturellen Bauplan unserer Zivilisation. Es zeigt auch, so verkürzt und provokant es auch sein mag, den Weg in ein neues Zeitalter menschlichen Zusammenlebens. Stoverock fordert nämlich ein Zurück zum Female Choice Prinzip im Bereich der Fortpflanzung und bei der Kontrolle der Ressource Sex. Nur so könne das mit der Einführung der Anti-Baby-Pille begonnene Emanzipationsprojekt der Frau weitergeführt werden.

Meike Stoverocks Buch ist eine rasante Reise durch die Unterdrückungsgeschichte weiblicher Sexualität. Es ist polemisch, oft utopisch und wirft mehr Fragen auf, als es leicht umsetzbare Antworten gibt. Dennoch genießt man diesen heiteren Ideensturm wie eine frische Seebrise. Man hat sofort Lust, mit allen Männern und Frauen dieses Planeten eine neue Zukunft einzuleiten, in der gemäß dem Female-Choice-Prinzip gilt: „Kein Geschlecht dominiert das andere.“
Buchcover Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation

Von Katharina Teutsch

​Katharina Teutsch ist Journalistin und Kritikerin und schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Tagesspiegel, die Zeit, das PhilosophieMagazin und Deutschlandradio Kultur.