Reinhard Kleist Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
- Carlsen Verlag
- Hamburg 2015
- ISBN 978-3-551-73639-0
- 152 Seiten
- 13 ab 14 Jahren
- Verlagskontakt
Reinhard Kleist
Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
Mit Förderung von Litrix.de auf Arabisch erschienen.
Samar Moneer hat „Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar“ ins Arabische übersetzt.
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Was hat Sie an diesem Titel besonders gereizt?
Gereizt hat mich von Anfang an das Wort „Traum", und zwar als ein inspirierendes Wort, das vor allem Hoffnung, Zielstrebigkeit und Überwindung der Herausforderungen in sich birgt. Zudem habe ich mich brennend für die Geschichte der somalischen Läuferin Samia Yusuf Omar interessiert, da sie einen Prototypen der unterdrückten, misshandelten Frauen in der Dritten Welt darstellt.
Die Geschichte von Samia Yusuf Omar könnte für uns alle eine Motivation sein, die uns dazu bewegen sollte, unsere Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Trotz aller Hemmungen gab sie nie die Hoffnung auf, ihren Traum zu verwirklichen, bis sie leider im Meer ertrunken ist. Obwohl sie z.B. kein gutes Essen bekam, keinen bequemen Trainingsanzug besass und in einem bombardierten Stadion trainieren musste, bestand sie darauf, täglich zu trainieren, um an den nächsten Olympischen Spielen in London teilzunehmen.
Darüber hinaus war ich tief erschüttert von dem Problem der illegalen Migration, mit dem sich der Comiczeichner Reinhard Kleist in seiner Graphic Novel befasste. Jeden Tag kommen zahlreiche illegale Migranten ums Leben, weil sie mit Schlauchbooten nach Europa fliehen möchten, aus der Überzeugung heraus, dass Europa ein Paradies sei. Mir gefiel auf besondere Weise, wie Kleist dieses Problem in seiner Graphic Novel ins Licht gerückt hat.
Vor welche besonderen Herausforderungen hat Sie die Übersetzung dieser Graphic Novel sprachlich und inhaltlich gestellt?
Bei der Übersetzung bin ich auf einige Probleme gestoßen. Dazu gehörte z.B., dass ich eine entsprechende arabische Bezeichnung für manche Wörter finden musste, obwohl diese Wörter keine arabischen Äquivalenzen haben. Um nur ein Beispiel zu nennen, erwähne ich hier das Wort Bhajia als Bezeichnung für ein traditionelles, somalisches Gericht, nach dessen Zutaten ich im Internet gesucht habe, um die passende Übersetzung zu finden.
Ausserdem stand ich vor der schweren Auswahl: Soll ich in die Umgangssprache oder in die Hochsprache übersetzen? Ich neigte dazu die Hochsprache auszuwählen, weil die Übersetzung in die Umgangssprache von den arabischen Rezipienten oft abgewertet wird, und weil sich das Ägyptische komplett von den anderen arabischen Dialekten unterscheidet und somit für die Leser in anderen arabischen Ländern unverständlich sein könnte.
Bei der Übersetzung dieser Graphic Novel wollte ich auch versuchen, sehr konzentriert und intensiv die Bedeutung zu übertragen, da die Sprechblasen in vielen Fällen keine vollständigen Sätze, sondern nur einzelne Wörter enthielten. Dadurch unterscheidet sich die Graphic Novel z.B. von einem Roman oder einer Kurzgeschichte.
Wie würden Sie Ihre Rolle als Übersetzerin beschreiben?
Die Übersetzung ist vor allem eine Kunstform. Als Übersetzerin versuche ich stets, meine sprachlichen Fertigkeiten auszubauen, um den Herausforderungen dieses Berufs gerecht zu werden. In erster Linie muss ich als Übersetzerin einen guten Einblick sowohl in die deutsche als auch in die arabische Kultur sowie auch ein Gefühl für beide Sprachen haben, damit ich die Bedeutung möglichst präzise übertragen kann.
Beim Übersetzen dieser Graphic Novel habe ich versucht, auf die Wortspiele sowie auf den Tonfall der übersetzten Wörter zu achten, um möglichst eine perfekte, fehlerfreie Kopie herzustellen.
Was das Thema dieser Graphic Novel angeht, interessierte es mich vor allem zu zeigen, welch mutige, strebsame Frau Samia war. Ich war sehr gespannt, wie sie bis zu ihrem Tod ihren Traum verwirklichen wollte. Die ganze Zeit über war ich komplett vertieft in den Text und hegte große Sympathien für Samia, die sich in einer patriarchalischen Gesellschaft befand, in der die Milizen der islamistischen Bewegung „Al-Shabaab" die Oberhand haben, und in der sie als Frau – den Vorstellungen dieser Milizen entsprechend – nicht rennen durfte, was wiederum ihrem Traum im Weg stand. Meiner Ansicht nach stellt Samia ein großartiges Vorbild für alle Frauen dar.
Odyssee einer Kämpferin
Zurück in Mogadischu darf sie als Frau ihr Training nicht fortsetzen. Für die Verwirklichung ihres Traums von den olympischen Spielen in London 2012 bleibt ihr nur die Flucht nach Europa. Im Frühjahr 2012 ertrinkt Samia während der Überfahrt in einem mit Flüchtlingen überfüllten Schlauchboot im Mittelmeer.
Der 1970 geborene, in Berlin lebende deutsche Comiczeichner Reinhard Kleist hat Samia Yusuf Omars einzigartiges Schicksal in einem berührenden Comic nacherzählt. Kleist gehört einer Generation deutscher Künstler an, der es ein Anliegen ist, die jüngere Geschichte wie auch gesellschaftlich-politische Verhältnisse glaubwürdig in ihren Comic-Erzählungen abzubilden. Sein Genre ist die gezeichnete Biografie. Er stützt seine Geschichten auf reale, außergewöhnliche Lebensläufe, entwickelt diese zu scharfen Charakterporträts und erzählt vom Lebenskampf seiner Protagonisten, von ihrer Schwierigkeit, Leben und Werk unter einen Hut zu bringen. Dabei kennt Kleist keine Berührungsängste vor anderen Kulturen. Um das erforderliche Höchstmaß an Authentizität zu erreichen, betreibt Kleist stets sorgfältige Recherchen. Kleist deckt so die Höhen und Tiefen im Leben des drogensüchtigen Country-Sängers Johnny Cash in „Cash – I See a Darkness“ (2006) auf, skizziert die politische Karriere des Fidel Castro („Castro“, 2010) und schilderte den erschütternden Leidensweg des Juden Hertzko Haft, der die Haft im KZ Auschwitz alleine durch seine Boxbegabung überleben konnte („Der Boxer“, 2011). Nur mittels schwarzer Tusche und mit sparsam eingesetzten Dialogen erschafft Reinhard Kleist realistische und zugleich stark verdichtete Porträts.
Kleists jüngste Graphic Novel „Der Traum von Olympia“ ist - angesichts der anhaltend aktuellen Flüchtlingsproblematik - auch das brisanteste aus seiner Reihe biografischer Comics: Nach Samias Rückkehr aus Peking fokussiert Kleist ihre ärmlichen Lebensverhältnisse in Mogadischu. Aufs Brutalste wird deutlich, dass ihr einziges Ziel, nämlich für die nächste Olympiade weitertrainieren zu dürfen, von den islamistischen Al-Shabaab-Milizen unterbunden wird. Samia sieht keinen anderen Ausweg, als ihr Land zu verlassen und es in Äthiopien zu versuchen. Doch auch dort findet sie keine Unterstützung für ihren Sport. Europa ist ihre letzte Hoffnung. Mithilfe von Schleppern reist Samia unter menschenunwürdigen Bedingungen über den Sudan nach Libyen, wo sie auf ein Fluchtboot wartet.
In seinen expressiven, schwarzweiß-grauen Tuschezeichnungen konzentriert sich Reinhard Kleist auf seine Hauptfigur Samia und bringt sie dem Leser damit sehr nahe, lässt ihn teilhaben an ihren bedrückenden Erlebnissen und den zahlreichen Rückschlägen, die ihr widerfahren. Zugleich findet er prägnante, auch poetische Bilder, etwa, wenn auf einer Lasterfahrt durch die Wüste auch andere Flüchtlinge von ihrer Herkunft erzählen, und ihren Hoffnungen.
„Der Traum von Olympia“ ist das einfühlsame Porträt einer willensstarken Sportlerin, die sich auch von den widrigsten Verhältnissen nicht unterkriegen lässt, und gleichzeitig die exemplarische Odyssee eines Flüchtlings.
Reinhard Kleist beweist erneut, dass die Graphic Novel ein geeignetes Medium ist, um komplexe, gesellschaftskritische Geschichten zu erzählen, die zum Weiterdenken anregen können.
Mehr zu Reinhard Kleist im Litrix.de-Magazin

Von Ralph Trommer
Ralph Trommer, Dipl. Animator, freier Autor und Künstler, schreibt für verschiedene Medien regelmäßig Rezensionen und Fachartikel über Comics, Graphic Novels und Filme.
Inhaltsangabe des Verlags
Dass Reinhard Kleist in der Lage ist, schwierigste historische Themen in einer Graphic Novel umzusetzen, hat er mit "Der Boxer" bewiesen. Jetzt nimmt er ein aktuelles Thema anhand einer wahren Geschichte auf:
Die Sprinterin Samia Yusuf Omar vertrat Somalia bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. In ihrer Heimat wurde sie jedoch von islamistischen Extremisten bedroht, die ablehnen, dass Frauen Sport treiben. In der Hoffnung, an der Olympiade in London teilnehmen zu können, versuchte sie die Flucht nach Europa. Samia Yusuf Omar ertrank 2012 im Alter von 21 Jahren vor der Küste Maltas im Mittelmeer.
(Text: Carlsen Verlag)