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Buchcover Willi. Der Kater, der immer größer wurde

Hans Traxler Willi. Der Kater, der immer größer wurde

Hans Traxler
Willi. Der Kater, der immer größer wurde

Mit Förderung von Litrix.de auf Arabisch erschienen.

Willi wächst

Die Deutschen sind ein ausgesprochen tierliebes Völkchen. Was Katzen betrifft, gibt es zwar eine nicht ganz kleine Fraktion, die in den Tieren eine Gefahr für die heimische Vogelwelt sieht, während andere mit dem Freiheitsdrang und der Erziehungsresistenz der Katzen ihre liebe Not haben. Davon abgesehen jedoch werden Katzen hierzulande gehegt, gepflegt und verwöhnt, was mitunter neurotische Züge annehmen kann. Zudem sind die Zeiten längst vorüber, in denen Katzen – wie im alten Ägypten – als Gottheiten verehrt wurden, weil sie einen wirksamen Schutz vor Mäusen und Ratten boten, die die lebenswichtigen Getreidevorräte bedrohten. Zwar werden Katzen auf Bauernhöfen auch heute noch als Nutztiere gehalten. In Mitteleuropa dienen sie als Haustiere jedoch hauptsächlich den geselligen Bedürfnissen ihrer „Besitzer“ (ein Wort, das Katzen nur höchst ungern hören).
 
In diesem Milieu siedelt der 85jährige Satiriker, Cartoonist, Maler, Illustrator und Kinderbuchautor Hans Traxler seine lebensweise und witzige Bildergeschichte über einen Kater an, den sich ein Ehepaar als Hausgenossen auserkoren hat. Die beiden hatten das Bauernkaterchen, das sie Willi nennen, bei sich aufgenommen. Augenzwinkernd stellt sich Traxler nun die Frage: Was wäre, wenn ein mageres, neugeborenes Kätzchen durch übermäßige Fütterung und Fürsorge über sich hinauswachsen und sich zu einem wahrhaft monströsen Kater entwickeln würde?
 
Der Karikaturist widmet sich also auf ironische Weise jenem Phänomen der Tierliebe, das ein Tier zum Objekt menschlicher Bedürftigkeit macht. Bereits das erste Bild gewährt tiefe Einblicke in das triste Leben des Ehepaars im reiferen Alter und scheinbar saturierten kleinbürgerlichen Verhältnissen. Die gerahmten Familienbilder an der Wand lassen ahnen, warum sich die beiden einsam fühlen: Sie wohnen allein in ihrem Haus, nachdem ihr einziger Sohn ausgezogen ist. „Er lebt jetzt in Grönland und hat eine Eskimofrau geheiratet.“
 
Da sitzen sie nun, die stolzen aber verlassenen Eltern und scheinen gegenüber dem Mobiliar förmlich zu schrumpfen. Bis ein Katerchen ins Leben des Paares tritt. Willi wird gewissermaßen an Kindes Statt angenommen, gehegt und gepflegt. Das einst putzige Tierchen hört allerdings nicht auf zu wachsen, überragt binnen kurzem Frauchen und Herrchen und okkupiert das geliebte Sofa in ganzer Länge und Breite. Bald muss sogar das Wohnzimmer leergeräumt werden, um Platz für Willi zu schaffen. Und der Kater wächst und wächst. Schließlich machen weltberühmte Professoren, die das Tier gründlich untersuchen, ein unbekanntes Virus für das Wachstum verantwortlich und ordnen Willis Zwangseinweisung in ein Raubtierhaus an. Das erzürnt wiederum die Tierschützer, die sofort vor dem Haus für Willis Freiheit demonstrieren. Auch das ist übrigens ein Phänomen einer vielschichtigen Wohlstandsgesellschaft: Stets und ständig melden sich Lobbyisten höchst unterschiedlicher Provenienz in der Öffentlichkeit zu Wort. Der Protest trägt Früchte: Willi erhält nur Hausarrest. - Um es vorwegzunehmen: Natürlich geht die Geschichte gut aus, weil ein mehr oder weniger ausgeprägtes ureigenes Bedürfnis dem Wachstum ein Ende und der Schrumpfung auf Normalmaß einen Anfang setzt: Katers Freiheitsdrang angesichts einer niedlichen Katze, die für Willi (noch) unerreichbar draußen vor dem Fenster posiert.
 
Hans Traxlers zeichnerische Kunst besteht vor allem darin, eine im Grunde komplexe Geschichte mit federleicht wirkenden Karikaturstrichen und schlichter Colorierung in ein, bis aufs kleinste Requisit punktgenau getroffenes, glaubwürdiges Milieu zu setzen. Und seine erzählerische Gabe zeigt sich darin, dass man die Geschichte  erstens augenzwinkernd nahezu für wahr halten kann und zweitens zumindest als Heranwachsender bereits das Hintergründige an den Ereignissen erkennt. Für Kinder mag Traxlers „Willi“ eine lustige Geschichte sein, mit ein paar dezenten Hinweisen auf menschliche Tugenden und Untugenden. Für Erwachsene ist die Geschichte mehr: Eine Satire auf kleinbürgerliche Freuden und Nöte. Eine Satire, die die Menschen liebt, von denen sie erzählt. Und wenn man noch genauer hinguckt, könnte man fast meinen, „Willi“ sei eine kleine soziologische Studie in Sachen „deutsche Befindlichkeit“.
Buchcover Willi. Der Kater, der immer größer wurde

Von Siggi Seuß

​Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.