Gero von Randow Wenn das Volk sich erhebt. Schönheit und Schrecken der Revolution
- Kiepenheuer & Witsch Verlag
- Köln 2017
- ISBN 978-3-462-04876-6
- 313 Seiten
- Verlagskontakt
Gero von Randow
Wenn das Volk sich erhebt. Schönheit und Schrecken der Revolution
Es war einmal: die Revolution?
Von Randow, der Journalist, ist ebenjener 14-Jährige, der damals zum ersten Mal auf den Geschmack des Politischen gekommen war: „Ich sah", schreibt er heute, „die Umgebung auf einmal mit anderen Augen. Die Gegenwart kam mir nur noch als Übergangszeit vor, als vorläufig. Jeden Konflikt mit Autoritäten verstand ich als Kampf gegen Verhältnisse, die nicht nur im Detail, sondern als Ganzes ungerecht waren." Nur folgerichtig also, dass von Randow sein Buch mit dieser Kindheitserinnerung beginnt. Es heißt: „Wenn sich das Volk erhebt. Schönheit und Schrecken der Revolution".
Fünfzig Jahre Ohnesorg, hundert Jahre 1917: Allein dieses Doppel-Jubiläum gibt diesem Revolutionsbuch einen Anlass. Natürlich bringt der Autor die russische Revolution zur Sprache, aber auch die Revolutionen, die es seit der französischen in England, Amerika und Lateinamerika gegeben hat. Von Randow erinnert an die Räterepubliken und die chinesische Kulturrevolution, an den deutschen Mauerfall und den Arabischen Frühling. Und verliert darüber die historischen Blaupausen aus der römischen Antike nicht aus dem Blick. Sein überaus gelehrtes Buch ist aber keine akademische Weltgeschichte der Revolte, es entwirft mit großem erzählerischen Schwung eine Typologie des Aufstands und seines Protagonisten, des Revolutionärs. Denn das interessiert den Autor ganz besonders: Wie sich der Einzelne aus dem Moment der Gegenwart in den großen historischen Zusammenhang versetzt, und wie das auf den genealogischen Zusammenhang zurückwirkt.
„Die Brücken in die Vergangenheit", schreibt von Randow, „sind kurz. Über sie wandern die Erinnerungen in die Gegenwart. Diese Erinnerungen werden nicht nur in Seminaren, Organisationen oder in der Literatur tradiert, sondern auch in Familien und daher nicht nur ins Bewusstsein, sondern auch ins Gefühlsleben. Die Botschaften, die diese Erinnerungen überbringen, kann unterschiedlich verstanden werden. Vielleicht so: Das waren schlimme Zeiten, früher. Oder aber so: Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Und: Es gab eine Hoffnung auf eine bessere Welt."
Hoffnung? Gero von Randow lässt am Ende offen, wie viel Revolution die Welt – oder sagen wir lieber, der Kapitalismus – überhaupt nötig hat. Er verweist darauf, dass die Lenin-Mumie den Leninismus überdauert hat: „Das Kapital konserviert seine Gegner. Es kann sogar daraus noch Profit schlagen. Manchmal allerdings versuchen Leute, das Mausoleum zu stürmen, um Lenin aufzuwecken, wie sie sagen. Man behandelt sie als Verrückte."
So bleibt am Ende des Buches eine Frage offen: Soll oder darf man darauf vertrauen, dass das Konzept der Revolution noch lange nicht in Vergessenheit geraten ist, so dass die herrschenden Verhältnisse auch künftig gründlich umgestürzt werden können? Oder muss man sich der Standortbestimmung des ex-kommunistischen Historikers François Furet anschließen: „Da sind wir also, verdammt dazu, in jener Welt zu leben, in der wir leben." Gero von Randow ist ehrlich genug, das in der Schwebe zu lassen.

Von Ronald Düker
Ronald Düker ist Kulturwissenschaftler und Autor im Feuilleton der ZEIT. Er lebt in Berlin.
Inhaltsangabe des Verlags
Die Zeit der Revolutionen ist nicht vorbei
Warum ist es so ein besonderer, geradezu erhabener Moment, wenn das Volk sich erhebt, auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder auf dem Maidan in Kiew? Warum begeistern wir uns für Revolutionen, auch wenn wir wissen, dass sie ihre eigentlichen Ziele nicht erreichen, niedergeschlagen oder verraten werden – meist von den Revolutionären selbst? In seinem packend geschriebenen, sehr persönlichen Buch schildert von Randow sein Erleben von Revolutionen und geht der Frage nach, ob sie noch ein Zukunftsmodell sind. Seine Antworten sind hochaktuell und überraschend.
Vor 100 Jahren siegte die russische Oktoberrevolution. Und vor 50 Jahren glaubte eine ganze Generation junger Leute, es sei wieder die Zeit der Revolutionen gekommen. Was blieb davon? Nur Resignation? Und was ist das überhaupt – eine Revolution? Dem Autor wurde im Jahr 2011 Anschauungsunterricht erteilt, als er Augenzeuge der tunesischen Revolution wurde. Seine These:
Revolutionen kommen unversehens. Und doch lassen sich Muster erkennen.
Der Blick des Autors richtet sich auf den amerikanischen Kontinent, auf West- und Osteuropa, Afrika und Asien. Er durchstreift die Jahrhunderte, von den aufständischen Sklaven des Altertums über die Revolutionäre von 1789 und die kommunistische Weltbewegung bis zu den Rebellen der Gegenwart, immer auf der Suche nach Tatsachen und Ideen, die das ungewöhnlichste, facettenreichste Phänomen der Geschichte erhellen können, die Revolution.
(Text: Kiepenheuer & Witsch Verlag)