Ulrich Peltzer Das bessere Leben
- S. Fischer Verlag
- Frankfurt am Main 2015
- ISBN 978-3-10-060805-5
- 448 Seiten
- Verlagskontakt
"Die Wirklichkeit ist eine Kette von Schnitzern"
Ulrich Peltzers vielschichtiger Gegenwartsroman "Das bessere Leben"
In der Hauptsache sind es zwei Figuren, die den Roman tragen; beide sind etwa Mitte fünfzig; beide verdienen ihr Geld im Bereich der globalen Wirtschaft. Sylvester Lee Fleming, in England geboren, in den USA aufgewachsen, mittlerweile überall in der Welt zu Hause, hat, wenn man seiner Visitenkarte glaubt, etwas mit Versicherungen zu tun. Das hat er wohl auch tatsächlich, unter anderem; darüber hinaus ist er aber auch eine Art Geldbeschaffer, der allerdings die Bedürfnisse erst erzeugt, die er dann bedient. Die zweite Hauptfigur heißt Jochen Brockmann. Sein Aufgabengebiet ist weitaus konventioneller; er ist Sales Manager eines finanziell ins Schlingern geratenen italienischen Konzerns, der etwas ganz Konkretes herstellt, nämlich Anlagen zur Beschichtung von Trägermaterialien.
Um Brockmann, der wie Ulrich Peltzer selbst vom Niederrhein stammt, und Fleming herum sind eine Vielzahl von Neben- und Halbnebenfiguren angeordnet; Freunde, alte Weggefährten, Familie, Geliebte und Ex-Frauen, ein unendlicher Wirbel von Stimmen, die da aus den verschiedenen Lebensabschnitten heraus sprechen, in den Köpfen von anderen oder persönlich. In harten Schnitten ist das erzählt, mit Einsparungen und Auslassungen. Das ist nicht neu, aber ungemein ausdrucksstark und effektvoll. Um der Gefahr zu entgehen, sein Personal zu bloßen Typen zu degradieren, hat Peltzer seinen beiden Protagonisten eine Geschichte gegeben; im Fall von Sylvester Lee Fleming möglicherweise sogar ein Schicksal.
Fleming war Augenzeuge und Beteiligter des Kent-State-Massakers, bei dem die Nationalgarde am 4. Mai 1970 an einer Universität im US-Bundesstaat Ohio vier Studenten erschoss, die gegen die amerikanische Vietnampolitik demonstrierten. Mit einer der Toten, Allison Krause, verband Fleming nicht nur die politische Überzeugung, sondern auch eine große Verliebtheit. Brockmann wiederum, Sohn eines Arztes und einer Ärztin, erinnert sich in Rückblenden an das linksalternative, anarchistisch angehauchte Provinzmilieu seiner Jugend.
„Das bessere Leben“ ist kein Wirtschaftsroman und kein Abgesang auf linke Ideale. Peltzer treibt die philosophische Frage um, was einem ökonomisch gesicherten, materiell solide ausgepolsterten Dasein, einem guten Leben also, fehlt, um ein besseres zu werden. Scheinbar so unumstößlichen Kategorien wie Chronologie und geschichtlicher Kausalität misstraut Peltzer zutiefst, „die Wirklichkeit eine Kette von Schnitzern, von Beiläufigkeiten und spontanen Entschlüssen, die sich im Nachhinein, das war den meisten Menschen unbegreiflich, als hieb- und stichfest ... als triftige Verbindung von A nach B ...“ So strömen Flemings Gedanken, während er allein auf dem Bett eines Hotelzimmers in Sao Paolo liegt.
Ulrich Peltzer hat das Stilmittel der erlebten Rede zur Perfektion gebracht. Frappierend an „Das bessere Leben“ ist der virtuos gestaltete Wechsel von szenischer Prägnanz und sprachlichen Soundwellen, auf denen es sich über Seiten hinweg dahinsurfen lässt, mitsurfen lässt, bis es urplötzlich wieder ganz konkret, anschaulich wird. Jede Einzelszene ist exakt herausgearbeitet; die Motive sind so sorgfältig miteinander verknüpft wie im Gegensatz dazu die Wegkreuzungen der Figuren zufällig erscheinen. Peltzer fällt keine Urteile. Er will nicht belehren, er stellt dar. Er zeigt Charaktere inmitten von Liebe, Kunst, Politik und Wirtschaftswelt. Und er inszeniert den Prozess einer Bewusstseinsentleerung, ohne in der Hohlheit der Figuren banal zu werden.
„Das bessere Leben“ ist exakt der Roman geworden, der er werden sollte. Ein bilderstarkes, überkomplexes, vor allem aber ideologisch offenes Buch. Und mithin, in seiner radikalen Indifferenz gegenüber sämtlichen Haltungen, ein hochpolitisches.

Von Christoph Schröder
Christoph Schröder, Jahrgang 1973, arbeitet als freier Autor und Kritiker unter anderem für den Deutschlandfunk, Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung.
Inhaltsangabe des Verlags
Ulrich Peltzer hat einen großen Zeitroman geschrieben. Was hält unsere undurchschaubare Welt zusammen: Träume, Geldströme, Gott oder der Teufel?
Im 20. Jahrhundert diskutierten, lebten und kämpften junge Menschen an amerikanischen Universitäten, in Frankfurt und Moskau für eine gerechte Ordnung, für eine bessere Zukunft. Doch die Utopien sind in Terror umgeschlagen. Wir leben in einer radikal kapitalistischen Welt, unsere Gegenwart scheint undurchschaubar. Was ist aus unseren Utopien, Sehnsüchten und Träumen geworden?
Aus ehemaligen Revolutionären sind Manager geworden, Akteure der Wirtschaft. Sie sind involviert in globale Geschäfte zwischen Mailand, Südamerika und China, ihre Deals sind dubios. Haben sie alles verraten? Was heißt es heute in dieser Welt, gut zu leben? Was wäre das bessere Leben?
Jochen Brockmann ist erfolgreicher Sales Manager, doch er verstrickt sich in ein abstürzendes System. Die Bank gibt keinen Kredit mehr, Indonesien investiert nicht, es bieten sich die Chinesen an. Sylvester Lee Fleming ist ein skrupelloser Geschäftemacher, Finanz-Investor und Risiko-Berater. Er erscheint, als Retter, Verführer und Versucher. Ist er ein Abgesandter des Teufels oder nur ein Psycho? Er kreuzt Brockmanns Weg. Ist das Zufall oder Plan?
Ein philosophischer Roman, ein metaphysischer Thriller über das 21. Jahrhundert und die Gespenster der Vergangenheit.
(Text: S. Fischer Verlag)