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Die Tristesse der Distinktion

Dass Leif Randts Roman „Allegro Pastell“ zu den meistdiskutierten deutschsprachigen Büchern des Frühjahrs 2020 gehörte, liegt vor allem daran, dass er sich auf völlig verschiedene Arten lesen lässt: als Satire oder als kühl sezierendes Sittenbild, als tragikomische Studie über ein spezielles Milieu oder als realistisches Porträt einer Generation, als Kritik an einer entfremdeten Konsum- und Kommunikationswelt oder, dem verlagseigenen Werbeslogan folgend, als „Germany’s next lovestory“. Bei den Rezensenten gab es denn auch ein ganzes Spektrum von Reaktionen zwischen Begeisterung, Faszination, Ablehnung, Amüsement und Ennui, und die Verwirrung wurde dadurch noch verstärkt, dass der Autor seine literarischen Absichten geschickt zu verrätseln weiß.

Leif Randt, 1983 in Frankfurt geboren, war zuvor mit den Romanen „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ und „Planet Magnon“ aufgefallen, die beide dystopische Züge trugen und ihn nach allgemeiner Übereinkunft als Pop-Literaten in der Nachfolge von Rainald Goetz und Christian Kracht auswiesen. Mit diversen Preisen ausgezeichnet, gilt er als Spezialist für Jugendszenen und Lifestyle-Welten, für eine penibel registrierende, zugleich aber stoisch-pragmatische Haltung gegenüber den Trends, Codes und Konsumnormen unserer medial imprägnierten Gegenwart.

Das Wort „Allegro“ im Titel leitet sich vom Namen einer Berliner Schule her, in deren Sportzentrum Leif Randt, Wahlberliner wie so viele deutsche Schriftsteller, Badminton trainiert. Das Gleiche tut seine weibliche Hauptfigur Tanja, die gerade mit ihrem Debütroman zum Thema „Virtual Reality und Achtsamkeit“ großen Erfolg hatte. Ihr Freund Jerome, bei Frankfurt lebend, ist Webdesigner, wie im Nebenberuf auch Leif Randt. Die beiden Anfangdreißiger, gewissermaßen zwei Persönlichkeitshälften des Autors, führen zwischen den beiden Metropolen eine Fernbeziehung, die „schön, aber nicht existenziell“ sein soll. Das Buch handelt zum größten Teil davon, wie dieser emotional lauwarme, weder durch ernste Konflikte noch durch große Gefühle gefährdete Zustand in der Balance gehalten wird.
Die erste Voraussetzung ist die Abwesenheit von materiellen Sorgen, die zweite eine gemeinsame Fokussierung auf die jeweils aktuellen Insignien des Zeitgeistes, mit deren Hilfe eine fortwährende Selbstkuratierung betrieben wird. Mit diesem Ich-Design geht aber nicht etwa eine Horizonterweiterung oder Geschmacksverfeinerung einher, sondern lediglich ein immer perfekteres Gespür für die Produkte, Marken, Therapieformen, Reiseziele, Lokale, Clubs oder Drogen, die gerade den höchsten Distinktionswert besitzen. So wie die an Anglizismen reiche Kommunikation, die hier auf allen digitalen Kanälen exzessiv betrieben wird, nicht eigentlich der Verständigung oder Auseinandersetzung dient, sondern nur Jargonfloskeln und Statusmeldungen zitiert, die Leif Randt, um sie als solche hervorzuheben, kursiv gesetzt hat. Und auch die Selbstreflexion, die einen hohen Anteil der verbalen Mitteilungen ausmacht, bleibt an der Oberfläche des Angesagten verhaftet und läuft ins Leere.  

Der Wiedererkennungseffekt und damit der Grad der Belustigung dürfte milieu- und generationsabhängig sein, aber niemandem wird die Tristesse hinter diesem pastellfarbenen Mittelmaß entgehen, wenn eine kleine Irritation die Beziehung schließlich kollabieren lässt – wiederum ohne ausgeprägte Dramatik. Leif Randt hat in einer vordergründig schlichten Sprache einen mehrdeutigen Roman geschrieben, der eine Facette deutscher Gegenwart spiegelt, jedoch, wie man leicht fröstelnd hofft, nur eine von vielen. 
Buchcover Allegro Pastell

Von Kristina Maidt-Zinke

​Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.