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Buchcover Drei Kameradinnen

Shida Bazyar Drei Kameradinnen

Übersetzungsförderung
Mit Förderung von Litrix.de auf Italienisch erschienen

Vielschichtiges Panorama deutscher Wirklichkeit

Seinen Titel verdankt der Roman dem Schriftsteller Erich Maria Remarque, der in seinem 1936 erschienenen Buch „Drei Kameraden“ von einer intensiven Männerfreundschaft am Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erzählt. Shida Bazyar inspirierte das, ihren Roman „Drei Kameradinnen“ zu nennen. Drei Frauen stehen im Zentrum, die Freundinnen Kasih, Hani und Saya. Sie bzw. ihre Eltern stammen aus unterschiedlichen Weltgegenden. Aus welchen erfahren wir nicht, weil es nicht wichtig ist, sondern bloß unsere Neugier befriedigen würde. Wichtig ist, dass die drei Freundinnen zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Sie sind in derselben deutschen Siedlung aufgewachsen, einem sozialen Brennpunkt. Ihre robuste Freundschaft bildet den Glutkern dieses brenzligen Romans. Nicht zufällig zeigt das Cover ein loderndes Feuer.

Der Roman beginnt mit einer Zeitungsmeldung, die von einem mutmaßlich islamistischen Brandanschlag berichtet. Verdächtigt wird eine der drei Freundinnen, Saya M. Was davor geschah, erzählt ihre Freundin Kasih dann in einem forschen, der Gegenwart abgelauschten Tonfall. Immer wieder spricht sie die Leserschaft direkt an, duzt sie und unterstellt ihr, sich dieses oder jenes zu denken, dieses oder jenes Vorurteil zu hegen, und manchmal hat sie leider recht damit. Es ist auch ein Spiel mit der Fiktion, die Erzählerin kokettiert damit, was sie erfunden hat oder eben nicht, und die Leser*innen müssen sich selbst einen Reim darauf machen.

Allein schon sein frischer Erzählton macht dieses Buch zu einem besonderen. Ich-Erzählerin Kasih ist studierte Soziologin. Einen Job findet sie dennoch nicht, weswegen sie Zeit hat, uns ausführlich zu berichten, wie es ihr und ihren Freundinnen ergangen ist und ergeht. Kasih ist nicht nur frech, sondern auch eine vorbildlich unzuverlässige Erzählerin, die so unzuverlässig ist, dass sie sich an einer Stelle kurz verabschiedet, um am Kiosk Zigaretten und Bier zu holen. Die Leser*innen können nur mutmaßen, ob alles stimmt, was Kasih mal witzig, mal wütend von sich gibt. Ihre Freundin Hani bestreitet derweil ihren Lebensunterhalt als Bürokauffrau, während Saya als Workshopleiterin arbeitet. Eine Hochzeitsfeier bringt die drei wieder zusammen. Die Nachrichten beherrscht ein Prozess, der dem Prozess gegen die neonazistische terroristische deutsche Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ähnelt.

Rassismus, Sexismus und Klassismus bilden das thematische Schmieröl des Romans. Mit Diskriminierungserfahrungen sind die drei Freundinnen groß geworden. Die Autorin Shida Bazyar weiß, wovon sie spricht. Sie selbst wurde 1988 in Hermeskeil in Rheinland-Pfalz geboren. Ihre Eltern waren ein Jahr zuvor aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Shida Bazyar hat viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit gearbeitet, in Hildesheim studierte sie Literarisches Schreiben und hat gleich mit ihrem ersten Roman „Nachts ist es leise in Teheran“, erschienen 2016, für Aufsehen gesorgt. Darin erzählt sie aus unterschiedlichen Perspektiven von den Wirren einer iranisch-deutschen Familie und wurde dafür unter anderem mit dem Ulla-Hahn-Autoren-Preis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet.


Ihr zweiter Roman entfaltet anhand verschiedener Lebensstile ein vielschichtiges Panorama deutscher Wirklichkeit. Statusunterschiede nimmt die Autorin genau in den Blick und macht dabei das, was in heutigen Diskursen gefordert wird: Sie markiert die jeweilige Sprechposition, indem sie deutlich macht, aus welcher Perspektive heraus die Figuren sprechen und handeln. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung liest Bazyars Roman als „umfassende Anklage“, und die Autorin Karosh Taha urteilt: „Drei Kameradinnen ist eine Anklageschrift und ihr seid alle vorgeladen“. Kurzum: ein kämpferisch kurzweiliges Buch, das ins Herz aktueller Debatten sticht und uns allen die Leviten liest.
Buchcover Drei Kameradinnen

Von Shirin Sojitrawalla

Shirin Sojitrawalla arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Theater und Literatur für den Deutschlandfunk, die taz, die Frankfurter Rundschau, Theater der Zeit, nachtkritik.de und andere. Sie lebt und arbeitet in Wiesbaden.