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Buchcover Von Raben und Krähen

Britta Teckentrup Von Raben und Krähen

Übersetzungsförderung
Mit Förderung von Litrix.de auf Italienisch erschienen

Krähkrahkrah

Britta Teckentrups illustriertes Sachbuch „Von Raben und Krähen“

„Hoppe, hoppe, Reiter, / wenn er fällt, dann schreit er. / Fällt er in den Graben, / fressen ihn die Raben ...“ – ein alter deutscher Kinderreim, bei dem man als kleines Kind liebend gern mit Prickeln im Bauch auf Vaters Schoß saß, am Ende zwar in den Sumpf plumpste, aber unheimlich erleichtert war, dass man nicht von den schwarzen Vögeln gefressen wurde. Das war für viele von uns Erwachsenen wohl die früheste Erinnerung an Raben und Krähen, die sich fortan durch die Märchen zogen und auf den Schultern von Hexen und Zauberern saßen. Selbst im fortgeschrittenen Schulalter lehrten die Vögel den das Grausen, der Edgar Allan Poes schauriges Gedicht „Der Rabe“ rezitieren musste.

Und nun ein Buch, das all die schwarzen Gedanken über die unheimlichen, bedrohlichen Geschöpfe auf den Kopf stellt. Nein, eigentlich stellt Britta Teckentrups Bilder-Sachbuch „Von Raben und Krähen“ das gepflegte falsche Bild der Lebewesen aus der Familie der Rabenvögel (Corvidae) – 129 Arten in 23 Gattungen! – auf die Füße und auf festen Boden. Kein dem Rezensenten bekanntes Vogelbuch hat so sachkundig, vielfältig, verständlich und nicht zuletzt auch poetisch das Leben dieser Tiere beleuchtet. Zuerst wird die höchstentwickelte Gattung in der Vogelwelt, die sämtliche Kontinente bevölkert, natürlich vorgestellt, Raben, Krähen, Häher und Elstern verschiedenster Arten: Kolkrabe, Nebelkrähe, Rabenkrähe, Saatkrähe, Glanzkrähe, Dohle, Alaskakrähe, Kubakrähe, Jagdelster, Eichelhäher, Kapkrähe, Bougainvillekrähe, Leiterschwanzelster und und und. Dann werden ihre sozialen Verhaltensweisen ins rechte Licht gerückt, ihr Brutverhalten und ihr ausgeprägter Familiensinn, ihre hohe Intelligenz, ihre differenzierte Sprache. Allein schon das würde genügen, die Vorurteile, die sich in vielen Köpfen festgesetzt haben, ad absurdum zu führen. Krähen- und Rabenvögel sind viel besser als ihr Ruf!

Aber das würde das Buch noch nicht von anderen klugen Sachbüchern über Vögel unterscheiden. Nein, es ist vielmehr die ganz besondere Art der Autorin und Illustratorin, mit der sie die Leser und Leserinnen in diese wundersame Vogelwelt führt, die häufig bereits vor der eigenen Haustür beginnt. Das Seltsame ist, dass trotz der Menschennähe vieler Raben- und Krähenvögel und trotz gelegentlicher Berichte und Dokumentationen in den Medien das Wissen über die Corvidae dürftig bleibt. Ja, dass sie klug sind und sehr sozial gegenüber der eigenen Sippe – das weiß man gerade noch, aber dann dominieren wieder die dunklen Bilder aus der Kindheit.

Britta Teckentrup setzt mit ihren atmosphärisch-realistischen digitalen Collagen gerade diese dunklen Bilder in ein zauberhaftes Licht. Die Magie, die diese Bilder ausstrahlen, lässt einen staunen und nimmt gleichzeitig die Angst vor dem Unbekannten. Schwarze oder schwarzgraue Vögel, groß und klein, fliegen in Schwärmen über abgeerntete Felder und über stille Wälder im Morgendunst. Sie stolzieren über die Seiten, picken im Schnee nach fressbaren Krümelchen, sitzen im Geäst eines Vogelbeerbaumes, bevölkern eine riesige, verästelte Eiche, hinter der der Vollmond den Nebel durchdringt. Sie sitzen zeternd auf einem alten Gartenzaun, oder einsam auf einem morschen Fensterbrett oder sie gründen gerade eine Kolonie auf dem von Unkraut überwucherten Areal eines stillgelegten Flugplatzes. So viele Bilder, die die Bilder der Kindheit in einem vertrauteren Licht erscheinen lassen!

So unterschiedlich die Bild-Perspektiven sind, so verschieden sind auch die erklärenden und erzählenden Annäherungen an die Lebewesen. Vogelkundliche Einordnungen und Verhaltensbeschreibungen werden abgelöst von Mythen und alten Geschichten über Rabenvögel, von Beobachtungen des Verhaltens der Tiere gegenüber Menschen und schließlich von Beispielen, wie sich die Vögel quer durch die Jahrhunderte, in der Literatur eingenistet haben. Von Äsops Fabel über Märchen aus verschiedenen Kulturkreisen bis zu ernster und satirischer Lyrik des 19. und 20. Jahrhunderts. Joachim Ringelnatz schrieb über „Die Krähe“: „... Sie torkelt scheue Ironie, / flieht souverän beschaulich. / Und wenn sie mich sieht, zwinkert sie / mir zu, doch nie vertraulich.“

Sie zwinkert uns zu, kräht vielleicht krächzend ihr wohlbekanntes Krähkrahkrah und hebt sich die vertraulichen, sanften, gurgelnden und plaudernden Laute für ihre Kinder, ihren Partner und ihre Familie auf. Ihr Gesang ist vielfältiger als vermutet. Raben- und Krähenvögel stehen als Singvögel schließlich seit 1972 in Europa unter Artenschutz. Nach der Lektüre von Britta Teckentrups Buch wissen wir, warum.
 
Buchcover Von Raben und Krähen

Von Siggi Seuß

​Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.