Susanne Schmidt Merjem
- Jacoby & Stuart Verlag
- Berlin 2016
- ISBN 978-3-946593-05-8
- 208 Seiten
- 9 ab 10 Jahren
- Verlagskontakt
Susanne Schmidt
Merjem
Ein Mädchen versteckt sich
Was für eine Horrorvorstellung! Eines Nachts, in den stillen Stunden vor Anbruch der Morgendämmerung, hämmert es an Ihrer Wohnungstür. Sie öffnen erschrocken und schlaftrunken die Tür. Zwei Polizisten drängen sich an Ihnen vorbei in die Wohnung und fordern Sie auf, binnen zwanzig Minuten Ihre nötigsten Habseligkeiten zusammenzuraufen. Dann durchsuchen die Ordnungshüter die Zimmer. Als Asylsuchender leben Sie bereits Jahre in Deutschland, sind zwar nicht anerkannt, aber geduldet. Sie haben sich integriert, Freunde gewonnen, sind in Lohn und Brot, Ihre Kinder gehen gerne zur Schule und pflegen Freundschaften. Einst kamen Sie aus Albanien ins Land, weil Sie in Ihrer Heimatstadt Tropoja mit dem Tode bedroht wurden. Jetzt werden Sie ausgewiesen und haben keine Chance mehr, Ihre Abschiebung zu verhindern.
Dieses Schreckensszenario ist Ausgangspunkt eines außergewöhnlichen Kinderromans, „Merjem" von Susanne Schmidt. Außergewöhnlich ist der Roman – der in einer ungenannten deutschen Stadt spielt - vor allem deshalb, weil er das haarsträubende Procedere einer nahezu alltäglichen, die Menschenwürde grob missachtende Abschiebepraxis mit durchaus gebräuchlichen Genres und Stilmitteln der Kinderliteratur erzählt.
Susanne Schmidts Roman beginnt mit dem Umstand, dass sich Merjem, die elfjährige Tochter der albanischen Familie, so in der Wohnung verkrochen hat, dass sie der Abschiebung entkommt und sich nun, Anfang November – ohne Hoffnung, ohne Plan und nur mit dem Allernötigsten bekleidet – in der Umkleidekabine der Tennisplätze in der Nähe ihrer Schule versteckt. Ab diesem Zeitpunkt verquickt die Autorin den tragischen Hintergrund mit einer spannenden Schul-, Familien-, ja sogar mit einer Krimihandlung.
Was zuerst überrascht, entpuppt sich alsbald als ausgezeichnete Möglichkeit, junge Leser und Leserinnen in die Geschichte zu ziehen. Und siehe da: Schnell kann man sich mit Linus anfreunden – dem Gegenteil eines Musterschülers – und mit der pfiffigen Dana, in die Linus, altersgemäß: unsterblich, verknallt ist. Linus und Dana sind Klassenkameraden der verschwundenen Merjem und beschützen das Flüchtingsmädchen, nachdem sie es zufällig im Umkleideraum entdeckt haben. Der Junge lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter, das Mädchen bei ihrem alleinerziehenden Vater. Im Umfeld der drei gibt es natürlich noch ein paar nervige Mitschüler, deren ungeahnte Potentiale an Hilfsbereitschaft sich erst im Lauf der Handlung entwickeln.
In die tragische und zuerst ausweglos erscheinende Geschichte eines Flüchtlingsmädchens integriert die Autorin also den ganz normalen Alltag junger Menschen in einer ganz normalen Schule, die üblichen Wirrnisse in nicht ganz intakten Familien und die Herausforderungen, denen sich die Generation Smartphone in ihrer Freizeit ausgesetzt sieht. Auch die Krimihandlung - der rassistische Hausmeister der Schule handelt mit gefakten Markenturnschuhen – fügt sich nahtlos in die Geschichte von Merjams jämmerlichem Leben im Verborgenen.
Dass aus den freundlichen und leidenschaftlichen, wenngleich völlig naiven ersuchen von Linus und Dana, Merjems Situation erträglicher zu gestalten, so etwas wie eine kleine gesellschaftliche Bewegung entsteht, in der unterschiedlichste Menschen guten Willens couragiert und mit Witz zeigen, was in ihnen steckt – das lässt am Ende hoffen.

Von Siggi Seuß
Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.
Inhaltsangabe des Verlags
Legal - Illegal
Merjem erzählt von Abschiebung und Asyl in Form einer Krimi- und Freundschaftsgeschichte, spannend und mit viel Herz – und macht auf realistische und zugleich auch witzige Weise Mut, Lösungen für Probleme zu finden und Solidarität zu zeigen.
Als der 12-jährige Linus vom Hausmeister seiner Schule dazu verdonnert wird, ein Graffiti zu übermalen, stößt er in der winterkalten Umkleide des Tennisplatzes auf Merjem, ein Mädchen aus seiner Klasse, das sich dort versteckt hat und sehr verschreckt wirkt. Gemeinsam mit seiner Klassenkameradin Dana findet er heraus, dass Merjems Eltern nach Albanien abgeschoben worden sind. Merjem selbst konnte sich der Abschiebung jedoch entziehen und wird nun von der Polizei gesucht. Linus und Dana beschließen, Merjem zu helfen und geraten dabei in gefährliche Situationen, vor allem, als sie den kriminellen Machenschaften des fiesen Hausmeisters auf die Spur kommen …
(Text: Jacoby & Stuart Verlag)