Bettina Wilpert Nichts, was uns passiert
- Verbrecher Verlag
- Berlin 2018
- ISBN 978-3-957-32307-1
- 168 Seiten
- Verlagskontakt
Bettina Wilpert
Nichts, was uns passiert
Polnische Rechte bereits vergeben
Was überall passiert
Die Handlung spielt in einem Umfeld, in dem nach gängigen Vorstellungen „so etwas nicht passiert“: Bettina Wilpert führt uns ins Universitätsmilieu von Leipzig, der angesagtesten und coolsten unter den ostdeutschen Städten, und da sie selbst dort lebt, kann sie ein hohes Maß an Authentizität herstellen, obwohl sie kein reales Ereignis, sondern einen konstruierten Fall verarbeitet. Anna, Ende zwanzig, aus einer ukrainischen Immigrantenfamilie stammend, hat ihr Sprachenstudium abgeschlossen und jobbt in einer Kneipe, der etwa gleichaltrige Jonas promoviert über ukrainische Popliteratur. Die beiden lernen sich durch gemeinsame Freunde kennen, finden viel Gesprächsstoff, vor allem in politischen Diskussionen, und schlafen einmal miteinander, ohne sich emotional zu engagieren.
Auf einer Party in Jonas‘ Wohngemeinschaft sehen sie sich wieder, Anna betrinkt sich heftig, Jonas bringt sie in sein Zimmer und will plötzlich Sex. Anna ist zu kraftlos, um sich zu wehren. Später wird sie berichten, sie habe „nein“ gesagt; Jonas behauptet, es nicht gehört zu haben. Als sie aufwacht, fühlt Anna sich missbraucht und traumatisiert. Nach drei Monaten zwischen Depression und ohnmächtiger Wut zeigt sie Jonas bei der Polizei an. Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt, da kein Beweis für Gewaltanwendung vorliegt. Im Freundes- und Bekanntenkreis aber bilden sich, sobald die Sache sich herumspricht, harte Fronten, und Jonas wird, auf den bloßen Verdacht hin, sozial isoliert.
Bettina Wilpert hat für ihren Roman in Internetforen von Betroffenen recherchiert, sie hat eine Sozialpädagogin, eine Juristin, eine Psychologin und eine Kriminalkommissarin befragt. Ihre Sprache ist knapp, nüchtern, kunstlos bis auf einige Wendungen, mit denen sie den Protokollcharakter der Erzählung hervorhebt. Trotz dieser Lakonie erzeugt sie Anschaulichkeit und ermöglicht die Einfühlung in die wechselnde Perspektive aller Beteiligten, der beiden Hauptfiguren wie der zahlreichen Beobachter, die zu Wort kommen. Indem die Autorin streng neutral bleibt und sich jedes moralischen Urteils enthält, erreicht sie ihr Ziel, die Leser zum Nachdenken anzuregen über den Umgang der Gesellschaft mit sexuellen Übergriffen und deren psychologischen, juristischen und gruppendynamischen Folgen. Ein hochaktuelles Buch, das zugleich Einblicke in das Leben junger Deutscher zwischen Hochschulcampus und Großstadtszene vermittelt.

Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monaten nah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort "Falschbeschuldigung" in der Luft. Jonas’ und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt.
Der Roman »nichts, was uns passiert« thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.
(Text: Verbrecher Verlag)