Sherko Fatah Schwarzer September
- Luchterhand Literaturverlag
- München 2019
- ISBN 978-3-630-87475-3
- 384 Seiten
- Verlagskontakt
Mit Förderung von Litrix.de auf Griechisch erschienen
Leseproben
Buchbesprechung
Die Perspektive auf das Geschehen wechselt in der Folge mit jedem Kapitel. Langeweile kommt so gar nicht erst auf und spannungssteigernde Cliffhanger sind garantiert. Im Mittelpunkt des Romans steht Ziad, ein junger Araber aus armen Verhältnissen. Anhand seines abenteuerlichen Wegs vom armen Schlucker zum gewieften Terroristen entfaltet der Roman einen auch heute noch typischen Lebenslauf. Linke Studenten wiederum schlagen sich damals auf die Seite der Palästinenser, lassen sich anheuern und im Nahen Osten ausbilden. Alle zusammen befinden sich im Visier des amerikanischen Geheimdienstes, dessen Mitarbeiter ein Leben fernab der Heimat führen, mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Hauptschauplatz des Romans ist Beirut, die Hauptstadt des Libanon, das damals als „Paris des Nahen Ostens“ galt. Beirut fungiert in Fatahs Roman auch als heimliche Hauptfigur, wobei seine wechselnden Himmels- und Meeresfärbungen nicht nur als stimmungsvolle Kulisse dienen, sondern auch die jeweilige Atmosphäre widerspiegeln. Weitere Schauplätze sind Paris, Marseille, Frankfurt, Berlin, Kairo und Bagdad. Die Fäden der Terrorgruppe erstreckem sich über mehrere Kontinente, und das Personal des Romans verknüpft sich zu einem unübersichtlichen Netzwerk mit wechselnden Loyalitäten und schwer einsehbaren Frontlinien. „Niemand hat wirklich den Überblick“, erklärt Sherko Fatah auf die Politik des Nahen Ostens angesprochen. Sein Roman trägt dem Rechnung, indem er gar nicht erst Partei ergreift, sondern die Komplexität der politischen Verstrickungen darstellt. En passant erzählt Fatah die Vorgeschichte heutiger Glaubenskriege, die Grausamkeit und Perfidie terroristischer Anschläge sickert dabei wie nebenbei in den Untergrund seines Romans.
Dass Fatahs Werke vielfach ausgezeichnet wurden und häufig für namhafte Preise nominiert werden, liegt auch an ihrer stilistischen Originalität. In „Schwarzer September“ beschreibt Fatah etwa eine Moschee und deren wie lustige Ohren in alle Richtungen weisenden Lautsprecher, oder er vergleicht einen Nachtclub am frühen Abend mit einem entzaubert wirkenden hell erleuchteten Kinosaal. An anderer Stelle ist die Rede von einem Liebespaar, welches das Bett heftig hütet.
Sherko Fatah wurde 1964 in Ost-Berlin als Sohn einer deutschen Mutter und eines irakisch-kurdischen Vaters geboren. Mit seinen präzise recherchierten Politthrillern hat er sich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur einen herausragenden Namen gemacht. Auch für seinen neuen Roman sichtete er Unmengen an Archivmaterial, um einen möglichst authentischen historischen Rahmen zu schaffen. Doch seine Recherchen beschweren den Roman nicht, was auch daran liegt, dass Fatah die historischen Ereignisse nicht bloß dokumentiert, sondern aufregend zu individualisieren versteht. Ganz verschiedene Mentalitäten, Kulturen und Charaktere bevölkern sein Buch. Ihre Lebensläufe bersten vor Abenteuerlust und dem Willen, die Welt zu verändern. Fatah kommt ihnen allen unheimlich nah, sitzt ihnen förmlich im Nacken. Er selbst spricht davon, sie wie mit der Schulterkamera zu begleiten. Bis in die 80er Jahre hinein folgt er ihnen diesmal und bettet ihre Geschichten in einen temporeichen Roman ein, der vom Rausch der Gefahr ebenso viel weiß wie vom Hunger nach Revolution.

Von Shirin Sojitrawalla
Shirin Sojitrawalla arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Theater und Literatur für den Deutschlandfunk, die taz, die Frankfurter Rundschau, Theater der Zeit, nachtkritik.de und andere. Sie lebt und arbeitet in Wiesbaden.
Inhaltsangabe des Verlags
„Schwarzer September“ ist ein Roman über den Terrorismus der Siebziger Jahre. Rebellische Idealisten wie Theresa, Alexander und Jakob reisen in den Nahen Osten, um sich ausbilden zu lassen. Ihre Familien bleiben mit Legenden in der Bundesrepublik zurück. Menschen aus dem Nahen Osten wiederum wechseln in die Bundesrepublik, um Aktionen vorzubereiten. Sie alle verbindet eines: Werkzeuge zu sein in einem Zusammenhang, den sie nicht überschauen. Kraftwellen einer Gewalt, die uns bis heute beschäftigt, auch wenn sich der Terrorismus inzwischen von einer mit revolutionärem Elan ausgeübten Gewalt zum Ausdruck einer extrem politisierten Religiosität gewandelt hat.
Sherko Fatah ist einer der klügsten Beobachter und Deuter der Vorgänge im Nahen Osten. Seine faktenreichen und doch atmosphärisch dicht erzählten Romane sind ihrer Zeit auch dann voraus, wenn sie den Blick in die Vergangenheit richten. Sie spüren den abenteuerlichen Wegen der handelnden Figuren aus unterschiedlichen Kulturen inmitten der Konflikte im Nahen Osten nach und beschreiben die Auswirkungen dieser Konflikte, die wie Druckwellen auch das heutige Westeuropa erreichen.
(Text: Luchterhand Literaturverlag)