Anja Kampmann der hund ist immer hungrig
- Carl Hanser Verlag
- München 2021
- ISBN 978-3-446-26753-4
- 120 Seiten
- Verlagskontakt
Italienische Rechte bereits vergeben.
Schlafende Hunde im Anthropozän
Anja Kampmann, 1983 in Hamburg geboren und in Leipzig lebend, gilt als Shootingstar der neueren deutschen Literatur. Mit dem Gedichtband Proben von Stein und Licht hatte sie 2016 ihr vielbeachtetes Debüt; zwei Jahre später folgte der Roman Wie hoch die Wasser steigen, der in der amerikanischen Übersetzung auf die Shortlist des National Book Award 2020 gelangte. Sie wurde auch hierzulande mit zahlreichen Förderpreisen, Nominierungen und Auszeichnungen bedacht und ist in allen wichtigen Anthologien zur Gegenwartslyrik vertreten.
Nachrufe auf die Natur – so könnte man einen Großteil der neuen Dichtungen Kampmanns nennen. Die Autorin richtet ihren Blick auf die Spuren, die der Mensch überall auf dem Planeten hinterlassen hat, auf die spektakulären und die schleichenden Verheerungen des Anthropozäns. Sie schreibt über geklonte Tiere und chinesische Gen-Experimente, über Müll und Asphalt, Industrieparks und Erosionsflächen, über Chemieschlote an der Donau und den Fledermaustod an Windkraftrotoren, über den Schwund des Permafrosts, die Vertreibung von Maulwürfen und ahnungslos schlafende Hunde an Tankstellen. Sie schreibt auch über Orte ihrer Kindheit und Jugend in einem nebelverhangenen Norddeutschland, und sie findet dort, neben persönlichen Erinnerungen, die nichts Idyllisches haben, Reminiszenzen an deutsche Kriegsverbrechen.
Immer aber bleibt die Dichterin in der Anschauung und in der Schilderung, nie wird sie analytisch, moralisch oder polemisch. Distanziert, doch nicht unbeteiligt ist dieser Blick, geprägt von kühler Melancholie, und er gewinnt der apokalyptischen Bestandsaufnahme eine eigentümliche Schönheit ab, eine herbe, ruhige Ästhetik, die den Schrecken nicht mildert, aber einen Zugang dazu eröffnet. Dies könnte eine Art politischer Lyrik sein, die unserer Zeit gemäß ist: Sie agitiert nicht, sondern zeigt, und ihr verhaltener, wie beiläufiger Klagegestus lässt das Ausmaß der Verwüstung stärker unter die Haut gehen, als lautes Anprangern es jetzt noch könnte.
Für die Übersetzung prädestiniert erscheinen diese Gedichte, weil sie ohne Reim, Metrum und andere formale Effekte auskommen, vielmehr ganz auf die Kraft der Bilder und den Assoziationsraum der Wörter setzen. Damit nähern sie sich einer rhythmisierten Prosa mit teilweise gebrochener Syntax und organisch wirkendem Zeilenfall, bei konsequenter Kleinschreibung und weitgehendem Verzicht auf Interpunktion. Ihr Gehalt und ihre Atmosphäre dürften sich ohne Verlust in jeglichen Sprachklang übertragen lassen.
Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Nach ihrem hochgelobten Debütroman „Wie hoch die Wasser steigen“ widmet sich Anja Kampmann wieder der Lyrik und fragt nach dem großen Leben.
Zeitungsträger, ein Mädchen auf dem Spielplatz, Jugendliche in ihrer naiven Sehnsucht fragen sich nach dem großen Leben und wo es sein könnte. Die Zukunft unterdessen hat ein anderes Blau und kündigt sich an mit Klonpferden und Mammuts. Mit zwei Büchern ist Anja Kampmann rasch bekannt geworden, mit „Wie hoch die Wasser steigen“, ihrem ersten Roman, und mit ihren Gedichten. Die neuen Gedichte erzählen vom Marschland, Figuren treten auf, wiederkehrende Motive verklammern sie zu einem großen Bild der Landschaft in unserer Zeit. Sie bestätigen Anja Kampmanns Rang als ganz eigenständige, überraschende Stimme ihrer Generation.
(Text: Carl Hanser Verlag)