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Buchcover Transparenzgesellschaft

Byung-Chul Han Transparenzgesellschaft

Mit Förderung von Litrix.de auf Russisch erschienen.

Buchbesprechung

An griffigen Formeln, auf die sich die soziale Unübersichtlichkeit unseres Miteinanders bringen lässt, herrscht kein Mangel. Nach wie vor beliebt ist Ulrich Becks Risikogesellschaft, die im Dauerschatten drohender Katastrophen agiert. Oft zitiert Dirk Baeckers Krisengesellschaft, der nie wieder ein Zustand unschuldiger Normalität vergönnt sein wird. Und erfolgreich auch Gerhard Schulzes Erlebnisgesellschaft, die in ruhelosem Antrieb mit dem eigenen Überfluss ringt.

Die soziologischen Theorien, die sich mit all diesen Begriffen verbinden, sind weitaus differenzierter als die Slogans, die man ihnen medial abgewonnen hat. Doch handliche Prägungen haben intellektuellen Karrieren nur selten geschadet, und so offensiv, wie sie der 1959 in Seoul geborene Philosoph Byung-Chul Han einsetzt, sprechen sie nicht nur von seiner Lust am pointierten Denken, sondern auch von seinem Ehrgeiz, jenseits der Universitäten Resonanz zu finden.

Schon 2010 machte Han, der an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung Philosophie und Medientheorie lehrt, mit dem Essay „Müdigkeitsgesellschaft“ von sich reden. Seine These, dass eine hemmungslos positive, alles Negative verleugnende Gesellschaft massenhaft seelische Erschöpfungszustände hervorbringe, wurde in vielen Debatten um die sogenannte Volkskrankheit Burn-out und die Depressionsanfälligkeit einer ganz auf äußerliche Leistung ausgerichteten Arbeitswelt dankbar aufgegriffen.

Nun führt er seine Gedanken in dem Buch „Transparenzgesellschaft“ fort und dehnt sie aus zu einer Polemik gegen einen „systemischen Zwang“, der als totalitäre Bedrohung allen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozessen innewohnt. Der Titel bildet dabei nur den Oberbegriff für neun weitere Gesellschaften, die er Kapitel für Kapitel abhandelt: Bausteine zu einer Theorie des Sozialen, die ihrerseits auf vollständige Durchdringung angelegt ist.

Han wendet sich erneut gegen die „Positivgesellschaft“. Er kritisiert den Ausstellungszwang, dem alles Sichtbare unterworfen wird, und entdeckt die Pornografie als sein obszönes Wesen. Er zieht gegen den Fetisch der Evidenz zu Felde und misstraut dem Prinzip umfassender Enthüllung. Er widersetzt sich den Beschleunigungskräften, die den anschwellenden Informationsströmen zugrunde liegen und sieht eine sich auf allen Ebenen freiwillig überwachende „Kontrollgesellschaft“ am Werk, wie sie Gilles Deleuze als Nachfolgerin der strafenden Disziplinargesellschaft charakterisierte. Ausleuchtung und Selbstentblößung stehen für ihn unter dem gleichen Ausbeutungsimperativ.

Kurz: Han beschreibt Transparenz als konsumistische Ideologie und verteidigt gegen sie die Tugenden des Verborgenen, des Opaken, des Geheimnisvollen, ja des Heiligen und des Geistes, um den Menschen davor zu schützen, sich dem algorithmisch berechenbaren Seelenleben von Maschinen anzugleichen. „Wer die Transparenz allein auf Korruption und Informationsfreiheit bezieht, verkennt ihre Tragweite“, behauptet er. Denn: „Die Transparenzgesellschaft ist eine Hölle des Gleichen.“ Und er sieht ihre Heraufkunft schon früh angelegt: „Schon bei Rousseau lässt sich beobachten, dass die Moral totaler Transparenz notwendig in Tyrannei umschlägt.“

Hans Buch ist eine Übung in dialektischem Denken, die ihre Widerständigkeit just in dem historischen Moment erprobt, in dem NGOs wie Transparency International oder LobbyControl bedeutende Erfolge im Kampf gegen die Korruption vorweisen können. Sie koinzidiert mit dem zeitweiligen Siegeszug der Piratenpartei und deren Anspruch der Liquid Democracy. Mit Han im Gepäck besteht die Gefahr, all diese Phänomene über einen Kamm zu scheren. Ohne eine Kasuistik aber, die jedes Mal von neuem abwägt, wo ein Politiker im Namen stammtischbürgerlicher Selbstgerechtigkeit verurteilt wird und wo eine Großbank zum Schaden des Gemeinwesens Steuern hinterzieht, ist die Reichweite einer solchen Theorie begrenzt. Gerade in der vermeintlichen Unumstößlichkeit, mit der Han auf den Zusammenhang von Transparenz und Vertrauen hinweist, ist sie wacklig.

„Vertrauen“, so sagt er, „ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nicht-Wissen. Vertrauen heißt trotz Nicht-Wissen gegenüber dem Anderen eine positive Beziehung zu ihm aufbauen.“ Insofern unterliegen Hans dialektische Volten selbst einem dialektischen Vorbehalt: Man kann von ihnen allen immer auch das Gegenteil behaupten. Hans Diagnosen beziehen sich auf die hochtechnologisierten westlichen Gesellschaften. Sein Anspruch aber ist universal. Ja ihm liegen metaphysische Annahmen zugrunde, die im Namen einer Sehnsucht nach Transzendenz von der wohltuenden Selbstverborgenheit des Menschen ausgehen.

Dies alles macht es schwer, weltliche Konsequenzen aus Hans Erkenntnissen zu ziehen. Denn der kritische Standpunkt, den Han einnimmt, wird in einer Art Hase-und-Igel-Spiel immer wieder verschleiert. Wo man eine rein politische Stoßrichtung wahrzunehmen meint, schwingt argumentativ schon etwas Religiöses mit, und wo er schweres anthropologisches Geschütz auffährt, betreibt er oft nur Kulturkritik an unserer durchcomputerisierten Welt. Aber nicht nur das: In seiner Generalverdammung aller Transparenzphänomene tut er so, als könnte er von außen, als völlig Unbeteiligter, einen Blick ins innere Getriebe der Gegenwart richten.

„Transparenzgesellschaft“ erscheint in einer Reihe, die sich Nietzsches Wort von der fröhlichen Wissenschaft als Überschrift gewählt hat. Doch was hier verhandelt wird, ist weder fröhlich noch Wissenschaft: Es ist in seinen Prognosen zutiefst finster und in seinem gedanklichen Gestus nicht auf das Argument, sondern auf die Eleganz der Formulierung hin ausgerichtet. Han pflegt ein aphoristisch-essayistisches Schreiben, dessen stilistische Qualitäten sich weit über alles akademische Grau erheben. Der Preis dieser Dichte, die von Abschnitt zu Abschnitt neu ansetzt und mal auf wenigen Zeilen, mal auf einer bis anderthalb Seiten entsteht, ist ein apodiktischer Ton, der keinen Widerspruch verträgt. Han hat etwas geradezu Seherisches in der Art, mit der er das Ende unserer Freiheit in der Transparenzgesellschaft beschwört.

Über den Soziologen Jean Baudrillard, der ebenfalls zu Hans Kronzeugen gehört, hat Christian Descamps, Redakteur des „Quinzaine littéraire“ einmal geschrieben, man müsse ihn wie Science-fiction lesen. Das ist auch für Byung-Chul Hans „Transparenzgesellschaft“ keine schlechte Empfehlung: Es wird garantiert nicht so schlimm kommen, wie er es seinen Lesern in dieser als Zustandsbeschreibung getarnten Dystopie ausmalt. Aber wer sich mit ihren Schrecken nicht rechtzeitig auseinandersetzt, den werden sie womöglich früher oder später einholen.

Von Gregor Dotzauer

Gregor Dotzauer ist Literaturredakteur des Berliner „Tagesspiegel“