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Buchcover Afrika

Lutz van Dijk Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents

Jenseits des Tellerrands

Nach der Lektüre dieses Buches kann man nicht zur Tagesordnung übergehen. Es bewegt und erregt sämtliche Regionen der Vernunft und des Gefühls. Nicht Stunden, nein, Tage. Und immer wieder stellt man sich die Frage: Welche, zum Teil laienhaften Vorstellungen haben wir uns im Lauf der Jahre, Jahrzehnte über einen Kontinent angeeignet? Über einen Kontinent, der der älteste und an Bodenschätzen reichste der Erde ist – und zudem die Wiege der Menschheit. Über einen Kontinent, auf dem sich mehr als eine Milliarde Menschen tummeln, die mehreren tausend ethnischen Gruppen angehören, die zweitausend anerkannte Sprachen sprechen und in 54 Staaten leben.
 
Und wir – von außerhalb oder vom Rande dieses Erdteils – nennen dieses Gebilde aus Unwissen und der Einfachheit halber „Schwarzer Kontinent“, obwohl er so bunt, so vielfältig, so überraschend ist wie wir niemals vermutet hätten. Der Rezensent – sozialen, politischen und kulturellen Dingen des Lebens durchaus aufgeschlossen -, der Rezensent muss eingestehen, dass das schiefe Mosaik, das er sich im Lauf seines Lebens von Afrika zusammengebastelt hat, in hohem Maße lückenhaft ist, geprägt von Vorurteilen, Ängsten, Halb- und Viertelwissen, kulturellen und politischen Versatzstücken und mehr oder weniger bekannten Namen und Ereignissen, die, in völlig unzusammenhängender Reihenfolge in der Erinnerung herumschwirren. Was für ein Tohuwabohu an Informationen, Wissen, Halbwissen, Nichtwissen und Ressentiments prägt die Bilder, die sich Menschen rund um den Globus von Afrika machen!
 
Und nun dieses Buch von Lutz van Dijk, das uns erstaunliche und vor allem fundierte Einsichten in das Leben jenseits unseres Tellerrands gewährt. Von Seite zu Seite öffnet es den Lesern die Augen für die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Geschichte und der Gegenwartes dieses Kontinents. Es öffnet nicht nur die Augen, sondern auch das Herz für das unsägliche Leid, das die Menschen dort in über 500 Jahren Kolonisierung, Missionierung und Ausbeutung erfahren haben. Es lässt erahnen, welch unbeschreiblichen Schmerz Menschen Menschen zufügten und zufügen – egal ob Brüder, Schwestern oder Fremde -, im Namen einer Ideologie, einer Religion, im Namen von Macht, Einfluss und Privilegien. Oder im Namen des Hasses auf Andersdenkende, Anderslebende, zum Beispiel auf sexuelle oder religiöse Minderheiten. - Das ist die eine Seite. Und sie wird von Lutz van Dijk offen und mit sehr detaillierten und konkreten Beispielen aus vielen Ländern des Kontinents belegt.
 
Die andere Seite. Wir werden in diesem Buch mit zahlreichen afrikanischen Stimmen der Hoffnung auf eine bessere Zukunft vertraut gemacht. Junge und alte Menschen erzählen, gebildete und ungebildete, einfache Bauern, Mütter, Künstler, Kämpfer für Menschenrechte und Gerechtigkeit, Staatsmänner und Staatsfrauen. Manche von ihnen ließen im Kampf um Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit ihr Leben. Manche – allen voran Nelson Mandela – trugen nicht nur maßgeblich zur Versöhnung in ihrem Land bei, sondern ermutigten und festigten demokratische Bewegungen, die gewaltlos für Freiheit, Menschenwürde und Gleichberechtigung kämpfen, in vielen afrikanischen Staaten und darüber hinaus. Das Vorwort zu van Dijks Buch schrieb der südafrikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Mpilo Tutu.
 
„Afrika – Geschichte eines bunten Kontinents“ ist übersichtlich in vier Hauptkapitel („Afrikanische Zeiten“, „Afrikanische Zivilisationen“, „Afrikanische Unterdrückung“, „Afrikanische Befreiungen“) gegliedert, mit einer Neugier erweckenden Einleitung versehen („Der älteste und auch der jüngste Kontinent“) und einem engagierten Epilog - einem flammenden Appell an die Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit der Menschen verschiedenster Ethnien und Glaubensrichtungen („Afrika als Teil der einen Welt“).
 
Der vielfach ausgezeichnete deutsch-niederländische Schriftsteller Lutz van Dijk engagierte sich bereits vor Jahrzehnten gegen die Apartheidpolitik der südafrikanischen Machthaber. Seit 2001 lebt er in Kapstadt. Im selben Jahr erhielt er für seinen Roman „Township Blues“ in Deutschland den Gustav-Heinemann-Friedenspreis. Er ist Mitbegründer einer Stiftung, die sich für aidskranke Kinder und Jugendliche einsetzt. Und er schreibt und publiziert immer wieder kenntnisreiche Sachbücher und Romane, nicht zuletzt für junge Menschen. Das bereits vor über zehn Jahren erschienene Buch über Afrika hat er 2015 grundlegend überarbeitet und um viele afrikanische Stimmen erweitert, die ihre Geschichten erzählen. Im wahren Sinn des Wortes „erzählen“ und nicht „schildern“.
 
 
Am Ende soll hier aus einer Erzählung der Schriftstellerin Amma Darko aus Ghana zitiert werden, „Urgroßmutters Salz“, weil sie die Seele dieses Buches in wenigen Worten erfasst: „Unsere Geschichte kennt viel Leiden und Schmerz. Dass wir trotzdem noch immer in der Lage sind zu lächeln, ja voller Lebensfreude miteinander lachen können, sagt vielleicht etwas aus über eine innere Stärke, so wie ich sie bisher in keinem anderen Geschichtsbuch habe finden können. Und dabei wird es … als etwas zutiefst Menschliches (beschrieben), etwas, das wir mit allen Menschen auf diesem Planeten teilen können.“       
 
Buchcover Afrika

Von Siggi Seuß

​Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.