Elke Erb Gedichtverdacht
- roughbooks
- Basel 2019
- ISBN 978-3-90605-044-7
- 94 Seiten
- Verlagskontakt
Elke Erb
Gedichtverdacht
Mit Förderung von Litrix.de auf Griechisch erschienen.
Verdächtiger Eigensinn
Elke Erbs unverwüstlicher Eigensinn verdankt sich nicht zuletzt ihrer Biografie. In einem Dorf in der Eifel geboren, in Kriegs- und Nachkriegsarmut aufgewachsen, siedelte die Tochter eines Literaturwissenschaftlers als Elfjährige mit ihrer Familie in die DDR über und hatte dort bald Anlass, ihre Aufsässigkeit zu trainieren: Seit 1968 erregte sie, mittlerweile Germanistin und Übersetzerin, immer wieder Anstoß mit ihren Gedichten und ihrem Einsatz für ähnlich unbotmäßige Kollegen. Von 1982 an veröffentlichte sie auch in Westdeutschland, wo sie 1988 den Peter-Huchel-Preis erhielt, auf den viele weitere Preise folgten. Seit 1998 erscheinen ihre Bücher in der adäquat eigenwilligen Edition „roughbooks“ des Schweizer Verlegers Urs Engeler.
Der jüngste Band „Gedichtverdacht“ lässt schon im Titel das Verfahren durchschimmern, das Elke Erb seit einigen Jahren anwendet: Sie „holt“ sich Texte, Notate, Tagebucheinträge, Einfälle aus der Vergangenheit, aus ihrem sorgsam geführten Archiv, wobei das „Holen“, von ihr ausdrücklich so bezeichnet, die Funktion einer poetischen Geste annimmt. Ob und in welchem Maße aus dem Geholten ein Gedicht entsteht, ist ungewiss, eine Definitionsfrage, auch ins Ermessen des Lesers gestellt. Die Übergänge sind fließend, und so bleibt es mitunter beim „Verdacht“, der als solcher schon inspirierend genug ist.
Das bedeutet zugleich, dass der schmale Band ganz verschiedene Textsorten enthält: längere Prosapassagen und kleinste Gedankensplitter, Fremdzitate, Gesprächsnotizen, Traumprotokolle und ausgearbeitete, zuweilen kommentierte Verse. Bespielt wird eine Zeitachse zwischen DDR-Impressionen des Jahres 1970 und einer morgendlichen Meditation über gefällte Bäume im Winter 2018, die mit den Verszeilen endet: „Sie werden mich übersterben./ Meine Handflächen meinen: Schade um sie.“ Im Kontext einer Selbst- und Weltbeobachtung, die sich von allen Schranken, Einordnungen und Wertungen befreit hat, fügen sich die Fragmente zu einem flirrenden Gesamtkunstwerk. „Vexierbild“ hieß ein früher Gedichtband Elke Erbs, und auch hier liegt dieser Vergleich nahe.
Das Übersetzen experimenteller Lyrik stellt eine enorme Herausforderung dar und stößt oft an Grenzen. Bei Elke Erb aber gibt es, jedenfalls in diesem Band, einige Faktoren, die das Problem relativieren: Sie arbeitet nur selten mit Reimen oder lautmalerischen Effekten, auf der semantischen Ebene bleibt sie stets konkret und, so ungezügelt ihre Fantasie sich auch bewegt, auf geradezu bodenständige Weise der Realität zugeneigt. Gerade dieser verblüffende Kontrast macht den Reiz ihres Umgangs mit Sprache aus. Er dürfte sich, mit wenigen Einbußen, gut in ein anderes Idiom übertragen lassen.
Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Der jüngste Gedichtband von Elke Erb beginnt mit einem älteren Text, "Die Olympiade" von 1970, wie alle Texte in diesem Buch im Sommer, den Elke Erb jeweils in Wuischke verbringt, "aus dem Tagebuch geholt" und hier zum ersten Mal veröffentlicht: "Jammerschade, dass es nicht gelingt, diesen Traum zu erzählen ..." Das letzte Gedicht, "Das mit dem Baum" vom "12.12.18, halb sieben", ist den Bäumen gewidmet: "Sie werden mich übersterben. / Meine Handflächen meinen: Schade um sie." Von Traum zu Baum, dem Faden der Geduld entlang, mit dem Elke Erb das Alltäglichste und das Wunderbarste miteinander verbunden hat. Das ist "Poesie": "Ich sagte plötzlich beim Frühstück mit den beiden hier auf dem Land: / Man ist ja irgendwie immer elf, und Geli: stimmt, sie sei immer 12. / Ei!"
(Text: roughbooks)