Tom Schulz Reisewarnung für Länder Meere Eisberge
- Hanser Berlin
- Berlin 2019
- ISBN 978-3-446-26201-0
- 128 Seiten
- Verlagskontakt
Tom Schulz
Reisewarnung für Länder Meere Eisberge
Mit Förderung von Litrix.de auf Griechisch erschienen.
Entzauberte Paradiese
Sein jüngster Band „Reisewarnung für Länder Meere Eisberge“ führt den Leser unter anderem in mehrere südeuropäische Länder und auf den amerikanischen Kontinent, aber der Titel kündigt schon an, dass es sich hier nicht um Reiselyrik im traditionellen Sinn oder gar um poetische Erlebnis-Empfehlungen handelt: Der Dichter stellt vielmehr seinen Status als „Passagier zwischen den Paradiesen“ selbstkritisch in Frage, und er lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was unsere sich ständig beschleunigende globale Mobilität der Erde und ihren einst so zahlreichen paradiesischen Gegenden antut. Immer rarer und kostbarer werden die Momente, in denen sich über exotische oder geschichtsträchtige Orte noch in lyrischer Verdichtung sprechen lässt; immer mehr politischer und ökologischer Zündstoff drängt sich in die Wahrnehmung und verlangt nach angemessenen Wortfindungen. Tom Schulz reflektiert das sehr bewusst, und so strebt er nicht etwa nach ästhetischer Neutralität, sondern scheut vor klaren Stellungnahmen und sarkastischen Zuspitzungen nicht zurück. Dass auch daraus wieder poetische Schönheit entsteht, verdankt sich der Sinnlichkeit seiner Bilder und seiner einfallsreichen, doch nie hermetisch verrätselten Sprache.
In frei rhythmisierten Strophen- oder Langgedichten, zuweilen auch in pointierter Kurzprosa, erzählt Tom Schulz vom Fliegen, von wundersamen Quallen an vermüllten Stränden, von portugiesischen Beinhäusern und vom Hundeleben im Moloch Buenos Aires. Er schildert einen Tag im sizilianischen Siracusa und seine Eindrücke von einem dreimonatigen Venedig-Aufenthalt: Zwei Traumziele werden entzaubert und behalten dabei doch ihre Magie. Der Lyriker besucht Plantagenarbeiter auf der spanischen Insel La Palma, besichtigt aber auch ostdeutsche Landschaften im Würgegriff des kapitalistischen Fortschritts und unternimmt eine ironische Exkursion ins Schwarzwald-Idyll des Philosophen Martin Heidegger: Als Deutschland-Satiriker ist Schulz eine veritable Entdeckung.
Eines der eindrucksvollsten Kapitel des Bandes führt auf die griechische Insel Leros, wo Tom Schulz nach Spuren des Dichters und Widerstandskämpfers Jannis Ritsos sucht, dem er sich nicht nur literarisch, sondern auch politisch verbunden fühlt. 1968-69 war Ristos dort interniert, von 1947 bis in die Achtzigerjahre war die Insel ein berüchtigter Ort der „Umerziehung“ und der Verbannung von psychisch Kranken. Heute herrscht Schweigen. Und Tourismus. Tom Schulz setzt mit zwölf Gedichten der archaischen Landschaft und der unbewältigten Geschichte von Leros ein Denkmal, das tief berührt.
Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Wach, präsent und von poetischer Schärfe: Tom Schulz’ neue Gedichte zeigen ihn als engagierten Lyriker.
Keine Reisewarnung könnte ihn aufhalten, zu groß ist Tom Schulz‘ Liebe zu diesem Planeten, der sich in immer rasanterem Tempo vom paradiesischen Zustand zu entfernen scheint. Wohin er sich auch lyrisch begibt, nach Medellín oder Venedig, in die Beinhäuser von São João oder zu den Plantagen von Tazacorte, ob in Strophen, in Prosa- oder in Kurzform – immer geht es ihm darum, den Regelkreis zu unterbrechen, „den Kreislauf aus Gier und Fertigteilen“, mit all der poetischen Schärfe, die ihm zu Gebote steht, Bewusstsein zu schaffen für die Schönheit und die Gefährdung der Welt.
(Text: Hanser Berlin)