Julya Rabinowich Dazwischen: Wir
- Carl Hanser Verlag
- München 2022
- ISBN 978-3-446-27236-1
- 256 Seiten
- Verlagskontakt
Mit Förderung von Litrix.de auf Italienisch erschienen
Nach vorne schauen, nie nach hinten
Wer „Dazwischen: ich“ nicht kennt, hat sicherlich etwas verpasst! Doch es ist kein Problem, sich auch ohne Kenntnis des ersten in den zweiten Roman hineinzufinden. Denn die Autorin baut mit großem Geschick wichtige Informationen aus dem ersten Buch wie nebenbei in Briefen, Erinnerungen und Träumen ein. So erfährt man peu à peu, was passiert ist, seit Madinas Familie ihre Heimat verlassen und unter gefährlichen Umständen fliehen musste.
Seit über zwei Jahren lebt das Mädchen mit Mutter, Bruder und Tante in Mitteleuropa. Woher sie ursprünglich kommt, ist nicht wichtig. Die vier haben inzwischen eine Wohnung, gute Freunde und sind in Sicherheit. Das Leben im Lager mit seinen vielen Einschränkungen ist nur noch eine böse Erinnerung. Madina geht sogar aufs Gymnasium. Alles könnte gut sein – doch der Vater bleibt weiterhin im Krieg verschollen, die Mutter ist in eine Depression gefallen und immer wieder verunsichern rechtsradikale Trupps das kleine Städtchen.
Notgedrungen wird Madina mit ihren guten Sprachkenntnissen zur Managerin der Familie. Manchmal läuft alles glatt, dann ist sie stolz auf ihre Situation und glücklich über die vielen Freiheiten, die sie hier genießen darf – im Gegensatz zum Leben in der Heimat. Doch oft ist sie auch überfordert, muss das Leben des kleinen Bruders und der Mutter regeln, sich gegen rassistische Anfeindungen wehren und sich ihren bedrängenden Traumata stellen. Denn der Krieg, vor dem ihre Familie geflohen ist, war grausam und sie bekam, weil ihr Vater Arzt war, viel zu viel davon mit.
Julya Rabinowich hat ihre sportliche und intelligente Protagonistin mit einem Feingefühl beschrieben, das ahnen lässt, dass sie die bitteren Erfahrungen der Migration und das Fremdsein in der neuen Heimat selbst kennt. Aber Madina gibt nicht auf, sie will „nach vorne schauen, nie nach hinten.“ Schwankend zwischen Glück und Wut, Freude und Verzweiflung wird sie viel zu früh erwachsen.
Der Roman ist Madinas Tagebuch, so können wir ihr mitten ins Herz und in den Kopf schauen, ihre Wut und ihre Wünsche, ihre Ängste und Sehnsüchte unmittelbar miterleben. Emotional, aber nie larmoyant, poetisch, aber nie pathetisch, oft ernst, dann wieder ironisch erzählt das junge Mädchen von einem schwierigen und schönen Jahr.
Bewusst hat die Autorin offengelassen, wo genau der Roman spielt. Und es ist im Grunde auch gleichgültig, ob es Deutschland oder Österreich ist. Gravierend sind die Kulturunterschiede allemal, jeden Tag sind sie erkennbar, an der Hautfarbe, der Kleidung, den fehlenden Sprachkenntnissen und der Unselbständigkeit der Mutter. Gerade in Ländern, in denen viele Menschen mit schlimmen Kriegs- und Fluchterfahrungen ankommen, ist der Roman besonders aktuell. Zusätzlich aktuell ist er im Ukraine-Kriegsjahr 2022 leider in ganz Europa.
An Übersetzer stellt der Roman mit seiner schlichten und klaren Sprache, seinen sensiblen Formulierungen und eindrücklichen Bildern sicherlich einige Herausforderungen. Das Schreiben selbst wird für Madina zum festen Halt auf der Suche nach dem eigenen Weg – um dies wiederzugeben, braucht es eine Menge Einfühlungsvermögen, Genauigkeit und Sprachgefühl.
Unter den inzwischen zahlreichen Jugendbüchern über Immigration, Fremdheit und Ausländerfeindlichkeit nehmen Julya Rabinowichs Bücher mit ihren einfühlsamen und zugleich trotzigen Beschreibungen des „Dazwischen“-Lebens einen besonderen Platz ein. Auch ihr geschmeidiger Ton ist ein Dazwischen, balanciert Kraft und Unsicherheit, Mut und Schüchternheit vorsichtig aus. Sehr gerne wüsste man, wie es mit Madina und ihrer Familie im nächsten Schuljahr weitergeht!

Von Sylvia Schwab
Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.
Inhaltsangabe des Verlags
Nach "Dazwischen: Ich" erzählt Julya Rabinowich in "Dazwischen: Wir", wie Madina ihren Weg in ihrer neuen Heimat findet. Ein bewegender Roman und ein Aufruf, Hetze mutig entgegenzutreten
Madina hat den Krieg und seine Schrecken, die gefährliche Flucht hinter sich gelassen. Endlich hat sie das Gefühl, angekommen zu sein, wohnt mit ihrer Familie bei ihrer besten Freundin Laura, trägt keine schlecht sitzenden Kleider aus der Spendenkiste mehr und gehört in der Schule ganz selbstverständlich dazu. Aber dann kippt die Stimmung. Rassistische Schmierereien tauchen auf, und jeden Donnerstag skandiert eine Gruppe auf dem Hauptplatz: "Ausländer raus!", erst wenige, dann immer mehr. Eine Zerreißprobe, nicht nur für Madina, sondern für alle, die in dem Ort leben. Doch Madina beschließt, nicht wegzuschauen – und sie findet Verbündete. Ein flammender Appell gegen Ausgrenzung und die Spaltung der Gesellschaft!
(Text: Carl Hanser Verlag)