Schnelleinstieg: Zum Inhalt springenZur Hauptnavigation springenZur Sprachnavigation springen

Buchcover Hässlichkeit

Moshtari Hilal Hässlichkeit

Übersetzungsförderung
Italienische Rechte bereits vergeben.

Hässlichkeit als Revolte

Im Deutschen gibt es eine etymologische Verwandtschaft zwischen den Worten Hass und Hässlichkeit. Die Feindseligkeit, die im Hass steckt, wird also dem Unschönen eingeschrieben. Auch die Künstlerin Moshtari Hilal, die 1993 Kabul geboren wurde und in Deutschland aufgewachsen ist, entlarvt in ihrem Buch die „Hässlichkeit“ als Zuschreibungspraktik, die immer schon mit dem Hass im Bunde gewesen ist. Weswegen sie eine Kategorie der Ungleichheit ist, die Abweichungen von einer gesetzten Norm als minderwertig beschreibt. Hässlichkeit ist damit keine Tatsache, sondern ein Sprechakt, der Verhältnisse klärt. Eine Geste, die Menschen in Herrscher und Beherrschte, in oben und unten, in wertvoll und verachtenswert unterteilt. Wer am langen Hebel der Normgebung sitzt, der übt Macht über all jene aus, die versuchen, dieser Norm zu genügen. „Exklusive Schönheit“, schreibt Moshtari Hilal, „ist wirksam, weil sie die Nicht-Schönen hervorbringt“.

Das gilt für rassistische Zuschreibungen von „zu“ dunkler Hautfarbe, „zu“ starker Körperbehaarung oder – unter Rassentheoretikern des zwanzigsten Jahrhunderts besonders beliebt – „zu“ großer Nase. Biometrische Pseudowissenschaften machten mit Cesare Lombroso aber schon im neunzehnten Jahrhundert Karriere. Der italienische Arzt meinte, anhand von messbaren Körpermerkmalen, Verbrecher definieren und erkennen zu können. Moshtari Hilal erinnert in ihrem Buch an die lange und unheilvolle Geschichte der modernen Physiognomik, die im Verbund mit der etwa zeitgleich aufkommenden Eugenik Jahrzehnte später zu einer beispiellosen Politik der Vernichtung „unwerten Lebens“ geführt hatte, das immer auch ein Leben in zugeschriebener Hässlichkeit war.

Doch das Gesicht bleibt auch im demokratischen 21. Jahrhundert „hermeneutische Oberfläche“, auf der viel herumgelesen wird. Die globale Schönheitsindustrie macht gute Geschäfte mit ihm. Mittlerweile wird mit technischen Filtern und millionenfach geteilten Gesichtsposen ein neues Idealgesicht verbreitet, in dem verschiedene ethnische Merkmale unterschiedlich fetischisiert werden. Unsere heutige Vermessung von Gesichtsgeometrien per Social-Media-Filter, so zeigt Hilal, erinnert durchaus an die biometrischen Exzesse berühmter Rassentheoretiker.

Die Autorin erinnert in fünf assoziativ aufgebauten Kapiteln daran, dass die Bestimmung des Hässlichen immer mit dem Hass auf die Abweichung beginnt. Dabei nimmt sie aus autobiografischen Gründen die Rhinoplastik in den Blick, die operative Veränderung der Nase, die ausgerechnet von einem jüdischen Arzt etabliert wurde, um der sogenannten „jüdischen Nase“ Abhilfe zu verschaffen. Im Nationalsozialismus verlor Jacques Joseph, der sogenannte „Nasenjoseph“ unter den plastischen Chirurgen, seine Approbation.

Als eine von vier Schwestern, die alle mit einer als zu groß empfundenen Nase zur Welt kamen, hat Hilal bewusst die Angleichung ihrer Nase an westlich geprägte Schönheitsideale verweigert. Über ihre Entscheidung schreibt sie: „Als meine älteste Schwester ihre Nase operieren ließ, kam es mir vor, als hätte man meine Familie kastriert.“ Die Definition von Schönheit, so Hilals Erkenntnis, geht in der Regel mit der Fantasie einher, die Abweichung im idealen Gesicht, in der idealen Behaarungssituation und in der idealen Hautfarbe, abzuwerten und damit die Norm einer Elite zu festigen.

Der antikoloniale Theoretiker Franz Fanon schrieb über die in der kolonialen Gesellschaft etablierten weißen Schönheitsideale, dass sie zur Entfremdung des kolonialen Subjekts von sich selbst führe. „Der Unterdrücker schafft es durch den umfassenden und furchteinflößenden Charakter seiner Autorität, dem Indigenen neue Sichtweisen aufzuzwingen und insbesondere ein abwertendes Urteil über seine ursprünglichen Existenzformen.“ Hilal erinnert ihre LeserInnen an die systematische Darstellung des kolonisierten Körpers als wahlweise kriminell, barbarisch oder schwächlich und sie ergänzt diesen Befund: „Das Weiß strukturiert Begehren, Empfinden, Körper und Geist der Menschen. Das Empfinden der eigenen Haut als falsch, wird zu einer unerträglichen Gefangenschaft in einer Uniform, die niemals abgelegt werden kann.“

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu wiederum erinnerte in den späten siebziger Jahren daran, dass die Produktion von Geschmack immer auch Bestandteil eines symbolischen Klassenkampfes ist. So erklärt sich die große Popularität der Rhinoplastik im Iran nicht nur durch rassistisch motivierte Körperbilder, sondern auch durch das klassistische Abgrenzungsbedürfnis einer wachsenden iranischen Mittelschicht, die ihr „gutes Gesicht“ als Zeichen von ökonomischem Erfolg und urbaner Modernität gelesen haben möchte. Das heißt: rassistische und klassistische Machtverhältnisse finden ihren unmittelbaren Ausdruck darin, was gemeinhin als schön oder hässlich empfunden wird.

Moshtari Hilal durchwebt ihr Buch mit kunstvoll verfremdeten Selbstporträts und lyrischen Selbsterkundungen, die von großen Frauennasen und schwarzen Körperhaaren handeln. Ihr spielerischer und vielseitiger Umgang mit dem Attribut der Hässlichkeit lädt die Leserin dazu ein, auch die eigenen Schönheitsideale zu überprüfen, ihren Wandel im Laufe eines Lebens und die in ihnen verborgenen Machtverhältnisse emanzipatorisch zu entziffern. Am Ende wird klar, dass es vor allem die Zuschreibung von Hässlichkeit ist, nicht die Hässlichkeit selbst, deren Antrieb der Hass auf das Andere ist.
Buchcover Hässlichkeit

Von Katharina Teutsch

​Katharina Teutsch ist Journalistin und Kritikerin und schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Tagesspiegel, die Zeit, das PhilosophieMagazin und Deutschlandradio Kultur.