Shida Bazyar Drei Kameradinnen
- Kiepenheuer & Witsch Verlag
- Köln 2021
- ISBN 978-3-462-05276-3
- 352 Seiten
- Verlagskontakt
Mit Förderung von Litrix.de auf Italienisch erschienen
Vielschichtiges Panorama deutscher Wirklichkeit
Der Roman beginnt mit einer Zeitungsmeldung, die von einem mutmaßlich islamistischen Brandanschlag berichtet. Verdächtigt wird eine der drei Freundinnen, Saya M. Was davor geschah, erzählt ihre Freundin Kasih dann in einem forschen, der Gegenwart abgelauschten Tonfall. Immer wieder spricht sie die Leserschaft direkt an, duzt sie und unterstellt ihr, sich dieses oder jenes zu denken, dieses oder jenes Vorurteil zu hegen, und manchmal hat sie leider recht damit. Es ist auch ein Spiel mit der Fiktion, die Erzählerin kokettiert damit, was sie erfunden hat oder eben nicht, und die Leser*innen müssen sich selbst einen Reim darauf machen.
Allein schon sein frischer Erzählton macht dieses Buch zu einem besonderen. Ich-Erzählerin Kasih ist studierte Soziologin. Einen Job findet sie dennoch nicht, weswegen sie Zeit hat, uns ausführlich zu berichten, wie es ihr und ihren Freundinnen ergangen ist und ergeht. Kasih ist nicht nur frech, sondern auch eine vorbildlich unzuverlässige Erzählerin, die so unzuverlässig ist, dass sie sich an einer Stelle kurz verabschiedet, um am Kiosk Zigaretten und Bier zu holen. Die Leser*innen können nur mutmaßen, ob alles stimmt, was Kasih mal witzig, mal wütend von sich gibt. Ihre Freundin Hani bestreitet derweil ihren Lebensunterhalt als Bürokauffrau, während Saya als Workshopleiterin arbeitet. Eine Hochzeitsfeier bringt die drei wieder zusammen. Die Nachrichten beherrscht ein Prozess, der dem Prozess gegen die neonazistische terroristische deutsche Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ähnelt.
Rassismus, Sexismus und Klassismus bilden das thematische Schmieröl des Romans. Mit Diskriminierungserfahrungen sind die drei Freundinnen groß geworden. Die Autorin Shida Bazyar weiß, wovon sie spricht. Sie selbst wurde 1988 in Hermeskeil in Rheinland-Pfalz geboren. Ihre Eltern waren ein Jahr zuvor aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Shida Bazyar hat viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit gearbeitet, in Hildesheim studierte sie Literarisches Schreiben und hat gleich mit ihrem ersten Roman „Nachts ist es leise in Teheran“, erschienen 2016, für Aufsehen gesorgt. Darin erzählt sie aus unterschiedlichen Perspektiven von den Wirren einer iranisch-deutschen Familie und wurde dafür unter anderem mit dem Ulla-Hahn-Autoren-Preis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet.
Ihr zweiter Roman entfaltet anhand verschiedener Lebensstile ein vielschichtiges Panorama deutscher Wirklichkeit. Statusunterschiede nimmt die Autorin genau in den Blick und macht dabei das, was in heutigen Diskursen gefordert wird: Sie markiert die jeweilige Sprechposition, indem sie deutlich macht, aus welcher Perspektive heraus die Figuren sprechen und handeln. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung liest Bazyars Roman als „umfassende Anklage“, und die Autorin Karosh Taha urteilt: „Drei Kameradinnen ist eine Anklageschrift und ihr seid alle vorgeladen“. Kurzum: ein kämpferisch kurzweiliges Buch, das ins Herz aktueller Debatten sticht und uns allen die Leviten liest.

Von Shirin Sojitrawalla
Shirin Sojitrawalla arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Theater und Literatur für den Deutschlandfunk, die taz, die Frankfurter Rundschau, Theater der Zeit, nachtkritik.de und andere. Sie lebt und arbeitet in Wiesbaden.
Inhaltsangabe des Verlags
Was Freundschaft bedeutet, wenn die Gegenwart Feuer fängt.
In ihrem neuen Roman erzählt Shida Bazyar voller Wucht und Furor von den Spannungen und Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart – und von drei jungen Frauen, die zusammenstehen, egal was kommt. Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet Hani, Kasih und Saya eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen die drei sich wieder, um ein paar Tage lang an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal ob über den Dächern der Stadt, auf der Bank vor dem Späti oder bei einer Hausbesetzerparty, immer wird deutlich, dass sie nicht abschütteln können, was jetzt so oft ihren Alltag bestimmt: die Blicke, die Sprüche, Hass und rechter Terror. Ihre Freundschaft aber gibt ihnen Halt. Bis eine dramatische Nacht alles ins Wanken bringt.
Shida Bazyar zeigt in aller Konsequenz, was es heißt, aufgrund der eigenen Herkunft immer und überall infrage gestellt zu werden, aber auch, wie sich Gewalt, Hetze und Ignoranz mit Solidarität begegnen lässt. »Drei Kameradinnen« ist ein aufwühlender, kompromissloser und berührender Roman über das außergewöhnliche Bündnis dreier junger Frauen – und das einzige, das ein selbstbestimmtes Leben möglich macht in einer Gesellschaft, die keine Andersartigkeit duldet: bedingungslose Freundschaft.
»Uns gibt es in dieser Welt nicht. Hier sind wir weder Deutsche noch Flüchtlinge, wir sprechen nicht die Nachrichten und wir sind nicht die Expertinnen. Wir sind irgendein Joker, von dem sie noch nicht wissen, ob sie ihn einmal zu irgendetwas gebrauchen können.« Aus: »Drei Kameradinnen«
(Text: Kiepenheuer & Witsch Verlag)