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Buchcover Schwarzer September

Sherko Fatah Schwarzer September

Übersetzungsförderung
Mit Förderung von Litrix.de auf Griechisch erschienen

Buchbesprechung

Sherko Fatahs neuer Roman beäugt den „Schwarzen September“, seine Drahtzieher, Unterstützer und Feinde. Hinter dem düsteren Signet „Schwarzer September“ verbirgt sich eine palästinensische Terrororganisation, die 1972 mit ihrem Attentat auf die israelische Mannschaft während der Olympischen Spiele in München weltweit bekannt wurde. Der Roman von Sherko Fatah setzt bereits ein Jahr zuvor mit der Ermordung des jordanischen Premierministers Wasfi al-Tal ein.
 
Die Perspektive auf das Geschehen wechselt in der Folge mit jedem Kapitel. Langeweile kommt so gar nicht erst auf und spannungssteigernde Cliffhanger sind garantiert. Im Mittelpunkt des Romans steht Ziad, ein junger Araber aus armen Verhältnissen. Anhand seines abenteuerlichen Wegs vom armen Schlucker zum gewieften Terroristen entfaltet der Roman einen auch heute noch typischen Lebenslauf. Linke Studenten wiederum schlagen sich damals auf die Seite der Palästinenser, lassen sich anheuern und im Nahen Osten ausbilden. Alle zusammen befinden sich im Visier des amerikanischen Geheimdienstes, dessen Mitarbeiter ein Leben fernab der Heimat führen, mit all seinen Vor- und Nachteilen.
 
Hauptschauplatz des Romans ist Beirut, die Hauptstadt des Libanon, das damals als „Paris des Nahen Ostens“ galt. Beirut fungiert in Fatahs Roman auch als heimliche Hauptfigur, wobei seine wechselnden Himmels- und Meeresfärbungen nicht nur als stimmungsvolle Kulisse dienen, sondern auch die jeweilige Atmosphäre widerspiegeln. Weitere Schauplätze sind Paris, Marseille, Frankfurt, Berlin, Kairo und Bagdad. Die Fäden der Terrorgruppe erstreckem sich über mehrere Kontinente, und das Personal des Romans verknüpft sich zu einem unübersichtlichen Netzwerk mit wechselnden Loyalitäten und schwer einsehbaren Frontlinien. „Niemand hat wirklich den Überblick“, erklärt Sherko Fatah auf die Politik des Nahen Ostens angesprochen. Sein Roman trägt dem Rechnung, indem er gar nicht erst Partei ergreift, sondern die Komplexität der politischen Verstrickungen darstellt. En passant erzählt Fatah die Vorgeschichte heutiger Glaubenskriege, die Grausamkeit und Perfidie terroristischer Anschläge sickert dabei wie nebenbei in den Untergrund seines Romans.
 
Dass Fatahs Werke vielfach ausgezeichnet wurden und häufig für namhafte Preise nominiert werden, liegt auch an ihrer stilistischen Originalität. In „Schwarzer September“ beschreibt Fatah etwa eine Moschee und deren wie lustige Ohren in alle Richtungen weisenden Lautsprecher, oder er vergleicht einen Nachtclub am frühen Abend mit einem entzaubert wirkenden hell erleuchteten Kinosaal. An anderer Stelle ist die Rede von einem Liebespaar, welches das Bett heftig hütet. 
 
Sherko Fatah wurde 1964 in Ost-Berlin als Sohn einer deutschen Mutter und eines irakisch-kurdischen Vaters geboren. Mit seinen präzise recherchierten Politthrillern hat er sich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur einen herausragenden Namen gemacht. Auch für seinen neuen Roman sichtete er Unmengen an Archivmaterial, um einen möglichst authentischen historischen Rahmen zu schaffen. Doch seine Recherchen beschweren den Roman nicht, was auch daran liegt, dass Fatah die historischen Ereignisse nicht bloß dokumentiert, sondern aufregend zu individualisieren versteht. Ganz verschiedene Mentalitäten, Kulturen und Charaktere bevölkern sein Buch. Ihre Lebensläufe bersten vor Abenteuerlust und dem Willen, die Welt zu verändern. Fatah kommt ihnen allen unheimlich nah, sitzt ihnen förmlich im Nacken. Er selbst spricht davon, sie wie mit der Schulterkamera zu begleiten. Bis in die 80er Jahre hinein folgt er ihnen diesmal und bettet ihre Geschichten in einen temporeichen Roman ein, der vom Rausch der Gefahr ebenso viel weiß wie vom Hunger nach Revolution. 
Buchcover Schwarzer September

Von Shirin Sojitrawalla

Shirin Sojitrawalla arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Theater und Literatur für den Deutschlandfunk, die taz, die Frankfurter Rundschau, Theater der Zeit, nachtkritik.de und andere. Sie lebt und arbeitet in Wiesbaden.