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Buchcover Tiere im Nationalsozialismus

Jan Mohnhaupt Tiere im Nationalsozialismus

Jan Mohnhaupt
Tiere im Nationalsozialismus

Griechische Rechte bereits vergeben

Vom Röhren deutscher Edelhirsche – Jan Mohnhaupt erkundet, wie die NS-Ideologie sogar im Umgang mit Tieren eingeübt wurde

Die Nationalsozialisten pflegten ein besonderes Verhältnis zu Tieren: Das tritt im vordergründig so modernen Tier- und Naturschutz des „Dritten Reiches“ ebenso zutage wie in der Schweinezucht, im Verschleiß von Kriegspferden oder in der Verklärung „typisch deutscher“ Tiere. Wie die NS-Ideologie im täglichen Umgang mit Tieren eingeübt und verankert wurde, zeigt Jan Mohnhaupt in seinem neuen Buch „Tiere im Nationalsozialismus“, das nachvollziehbar macht, wie bei Mensch und Tier zwischen „nützlichem“ und „lebensunwertem“ Leben unterschieden wurde.
 
Es gebe bislang nicht allzu viele Studien zu Tieren in der NS-Zeit – auch, weil man hierzulande fürchte, die menschlichen Opfer zu bagatellisieren, fasst Mohnhaupt in seiner Einleitung zusammen. Aber gerade die scheinbar harmlose Geschichte der Tiere verdeutlicht, wie weitreichend der Alltag der NS-Diktatur ideologisch durchtränkt war. Mit den folgenden sechs Kapiteln – über Hunde, Schweine, Insekten, Katzen, Hirsche und Pferde – schlüsselt Mohnhaupt das nationalsozialistische Gedankengut auf: Sein anschaulicher, auch für ein größeres Publikum gut lesbarer Band erklärt, wie verschiedene Facetten der NS-Ideologie in die Lebenswelten von Bauern, Kindern oder Haustierhaltern eingepasst wurden. Der Autor und Journalist, Jahrgang 1983, veröffentlichte bereits vor drei Jahren ein Sachbuch, das den Zusammenhang von Politik und Tieren untersuchte: „Der Zoo der anderen“ erzählte die Geschichte der beiden Berliner Zoos und ihrer langjährigen Konkurrenz im geteilten Deutschland. Im Nationalsozialismus erweist sich die Lage als ungleich komplexer, denn Tiere sind nicht nur Symbolträger, sondern auch kriegswichtige Fleischlieferanten.
 
Beispiel Schweinezucht: Der Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Walther Darré will das deutsche Volk von ausländischem Fett unabhängig machen und setzt auf Mastanlagen zur nationalen Selbstversorgung. Gleichzeitig wird das Schwein zum Symbol einer Lehre, die auf den Acker und die Scholle fixiert ist: „Darré hat keinerlei Skrupel, die Methoden der Tierzucht, die er in seinem Studium gelernt hat, auf den Menschen zu übertragen. Sein Plan ist es, die arische Rasse vom Bauernhof aus zu erneuern“, schreibt Mohnhaupt. Auch die Schweinezucht wird ideologietauglich gemacht: „Für Darré ist das Schwein die ‚Leitrasse’ der nordischen Völker, die die germanischen Vorfahren erst dazu gebracht habe, sesshaft zu werden.“
 
Wer „Herrenmenschen“ sagt, erfindet auch „Herrentiere“, das belegen die sechs Kapitel des Bandes eindrücklich. Die vermeintlich so modernen Natur- und Tierschutzgesetze, die zunächst einmal in Kraft treten, um das jüdische Schächten zu verbieten, gelten nicht für alle Tiere gleichermaßen. So verdeutlicht auch die Jagd und der Umgang mit den Wildtieren, wie interessengesteuert und fadenscheinig der NS-Tierschutzgedanke war. Über Hermann Göring, den „Reichsjägermeister“ und „zweiten Mann“ im Staat, heißt es bei Mohnhaupt: „Naturschutz bedeutet für Göring in erster Linie die Sicherung seiner Jagdgründe. Und seine Hirsche gehen ihm über alles. Obwohl der Rothirsch in mehreren Unterarten ganz Europa von Skandinavien bis zum Mittelmeerraum bewohnt, wird er im ‚Dritten Reich’ nur noch ‚deutscher Edelhirsch’ genannt.“
 
Noch deutscher als der Edelhirsch ist wahrscheinlich nur der Deutsche Schäferhund, dessen Leben, Werk und Wirkung Mohnhaupt ausführlich beschreibt. Manchmal streift das Buch dabei durchaus auch das Schauergeschichtliche, etwa, wenn es um Hitlers letzten Schäferhund Blondi geht. Dass er die tödliche Wirkung von Blausäurekapseln Ende April 1945 an seinem angeblich so geliebten Hund testen ließ, macht deutlich, wie es um Hitlers propagandistisch ausgeschlachtete Tierliebe stand. Der Führer mag Vegetarier und Jagdverächter gewesen sein, ein Tierfreund war er wohl nicht, hält Mohnhaupt fest. Ganz abgesehen von Hitlers letztem Hund ist die Geschichte des deutschen Schäferhundes vor allem von Interesse, weil sie verdeutlicht, wie der Zuchtgedanke ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.
 
„Eine Ideologie, die den Wert von Leben daran bemisst, welchen ‚Nutzen’ es der eigenen ‚Lebensgemeinschaft’ bringt, unterscheidet nicht zwischen ‚Mensch’ und ‚Tier’, sondern zwischen ‚nützlichem’ und ‚lebensunwertem’ Leben. Es entsprang demnach demselben ideologischen Geist, manche Tiere unter besonderen Schutz zu stellen und manche Menschen wiederum zu ‚Schädlingen’ zu erklären und sie systematisch zu vernichten“, fasst Mohnhaupt zusammen. Wie die Kategorien von Nützlichkeit und Schädlichkeit allmählich das gesamte Denken durchdringen, weisen die Tier-Analysen seines Bandes klar und deutlich nach. Aussortieren und Vernichten treten in den Vordergrund, verschränkt mit Züchtungswillen und Rassenwahn – vom feindlichen Kartoffelkäfer bis zum kultisch verehrten Auerochsen.
Buchcover Tiere im Nationalsozialismus

Von Jutta Person

Jutta Person, geboren 1971 in Südbaden, studierte Germanistik, Italienistik und Philosophie in Köln und Italien und promovierte mit einer Arbeit zur Geschichte der Physiognomik im 19. Jahrhundert. Die Journalistin und Kulturwissenschaftlerin lebt in Berlin und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und Philosophie Magazin. Von 2004 bis 2007 war sie Redakteurin bei Literaturen, seit 2011 betreut sie das Ressort Bücher beim Philosophie Magazin.

(Stand: 2020)